Mit zunehmendem Schwindel, Doppelbildern und Sprechstörungen stellt sich eine 47-jährige Frau in der Notaufnahme vor. Ihre Vitalparameter sind stabil, in der neurologischen Untersuchung fallen bilateral hängende Augenlider auf. Weder im CT noch im MRT des Kopfes findet sich eine Ursache, doch ihr Zustand verschlechtert sich rapide.
Mit zunehmendem Schwindel, Doppelbildern und Sprechstörungen stellt sich eine 47-jährige Frau in der Notaufnahme vor. Begonnen hatten die Symptome acht Stunden zuvor. Ihre Vitalparameter sind stabil, allerdings fallen in der neurologischen Untersuchung bilateral hängende Augenlider auf. Ihr Zustand verschlechtert sich rapide, doch weder im CT noch im MRT des Kopfes findet sich eine Ursache. Auch die Untersuchung des Liquors ist unauffällig. Innerhalb kürzester Zeit kann sie ihre Augen nicht mehr willkürlich öffnen. Sie zeigt eine zunehmend deszendierende Tetraparese sowie eine Lähmung der Atemmuskulatur und muss intubiert beatmet werden.
Der Ehemann als hilfreiches Indiz
Als ihr 51-jähriger Ehemann einen Tag später mit vergleichbaren Symptomen in die Notaufnahme gebracht wird, bringt dies die Ärzte auf die richtige Spur. Sie ziehen Botulismus als Ursache in Betracht. Der Symptomkomplex tritt nach einer Intoxikation mit Botulinumtoxin auf, in der Regel nach dem Verzehr kontaminierter Nahrungsmittel. Ein Gespräch mit dem Sohn bestärkt diese Vermutung. Er erinnert sich, dass seine Eltern drei Tage zuvor hausgemachte Bohnenkonserven unklaren Alters geöffnet und zum Abendessen serviert hatten. Er selbst habe die Bohnen abgelehnt, da ihm der Geruch merkwürdig vorkam. Obwohl sein Vater eine wesentlich kleinere Portion der Bohnen gegessen hatte, muss auch er bald intubiert beatmet werden.
Daramtische Folgen eines Abendessens
Botulinumtoxin ist ein extrem giftiges Nerventoxin, das die Ausschüttung von Neurotransmittern verhindert und so die neuromuskuläre Übertragung unterbricht. Deutscher Leitlinien zufolge ist die Gabe des Antitoxins nur innerhalb der ersten 24 Stunden nach Toxinaufnahme indiziert und kommt daher bei dem Ehepaar nicht zur Anwendung. Fast ein halbes Jahr müssen die beiden künstlich beatmet werden, bis mit dem Weaningbegonnen werden kann. Als Weaning wird die "Entwöhnung" eines beatmeten Patienten von einer maschinellen Atemunterstützung bezeichnet. Einen Großteil der Zeit verbringt das Ehepaar bei Bewusstsein. Auch wenn sich die neurologischen Defizite restlos zurückbildeten, leiden beide psychisch noch stark unter dem Trauma dieser Zeit.
Sind die Leitlinien sinnvoll?
Die behandelnden Ärzte äußern in ihrem Bericht abschließend Kritik an den geltenden Leitlinien. Der Forschungsstand zu der Wirksamkeit des Antitoxins sei noch nicht ausreichend, jedoch gebe es ihnen zufolge einige Hinweise, dass das Antitoxin auch bei einer späteren Gabe die Progression der Krankheit und die Beatmungszeit verringere. Sie fordern, den empfohlenen Zeitraum auf 72 Stunden auszuweiten.
Quelle:
Foodborne botulism due to ingestion of home-canned green beans: two case reports. Dorothea Hellmich et al., Journal of Medical Case Reports, doi: 10.1186/s13256-017-1523-9
Artikel von Maren Böcker