Bisher gibt es keine Medikamente, um dauerhaftem Gedächtnisverlust im Alter entgegenzuwirken. Forscher haben nun einen natürlichen Wirkstoff aus der Rosenwurzpflanze identifiziert, der die Gedächtnisleistung deutlich verbessert – zumindest in einer Studie mit alternden Fliegen.
Um altersbedingtem Gedächtnisverlust vorzubeugen, gibt es bisher – außer körperlicher Bewegung – keine wirksamen Strategien. In der traditionellen Medizin sind Pflanzenpräparate zur Förderung der Gedächtnisleistung zwar weit verbreitet. Diese können jedoch aufgrund von schwankenden Wirkstoffkonzentrationen inaktiv sein oder zu Fehldosierungen führen – und zwar insbesondere dann, wenn der Wirkstoff gar nicht bekannt ist. In solchen Fällen sind weder die Wirkungen noch die Nebenwirkungen für den Patienten oder den Arzt berechenbar. So ist auch die förderliche Wirkung von Rhodiola rosea, der Rosenwurzpflanze, für die geistige Leistungsfähigkeit des Menschen zwar schon länger bekannt. Wissenschaftler um Erstautorin Dr. Birgit Michels vom Leibniz-Instituts für Neurobiologie (LIN) wollten in ihrer Studie herausfinden, welche konkreten Wirkstoffe aus Rhodiola das Gedächtnis verbessern. Schließlich sind ohne identifizierten Wirkstoff keine gezielte Dosierung und Pflanzenzucht, keine Qualitätskontrolle und somit auch keine Medikamentenentwicklung möglich.
Für die Studie wurden Biotests am LIN in Magdeburg, zunächst an Fliegenlarven, mit der phytochemischen Analyse durch Wissenschaftler am Leibniz-Institut für Pflanzenbiochemie (IPB) in Halle kombiniert. Dadurch gelang es schließlich, die Substanz Ferulasäure-Eicosyl-Ester (FAE-20), welche die Gedächtnisleistung fördert, aus der Pflanze zu isolieren und chemisch eindeutig zu bestimmen. „Obwohl es sich chemisch um ein strukturell einfaches Molekül handelt, war die Identifizierung als wirksame Komponente im Pflanzenextrakt sehr langwierig. Es ist komplizierter, eine kognitive Leistung, wie Lernfähigkeit, mit den Hunderten von Naturstoffen aus der Pflanze in Beziehung zu setzen als es zum Beispiel bei der Suche nach neuen Antibiotika der Fall ist“, erläutert Prof. Ludger Wessjohann vom IPB. Mit der reinen Substanz, die in seinem Labor gewonnen wurde, konnte der Effekt von FAE-20 später eindeutig belegt werden. „Als nächstes hat uns interessiert, ob sich auch bei alternden Fliegen das Gedächtnis verbessern lässt“, so Prof. Bertram Gerber vom LIN. Die Forscher konnten zeigen, dass nach Zugabe von FAE-20 in das Fliegenfutter die Gedächtnisleistung von gealterten Fruchtfliegen um ein Drittel besser war als bei ihren nicht behandelten Artgenossen. Die Lernexperimente basieren hierbei auf der klassischen Konditionierung. Das heißt: Die Tiere lernen, einen Duft mit einer Belohnung – beispielsweise durch Zucker – zu verknüpfen. Es wurde dann überprüft, ob sie sich diese Verknüpfung gemerkt haben und den Duft nun attraktiver finden als zuvor.
Außerdem konnten die Wissenschaftler nachweisen, dass FAE-20 die altersbedingte übermäßige Ansammlung von Proteinen an den Verbindungen der Nervenzellen im Gehirn der Fliege verhindert. Der positive Effekt konnte auch bei über zwei Jahre alten Mäusen bestätigt werden. Ausgehend von der positiven Wirkung der Rhodiola-Pflanze beim Menschen konnten die Forscher mit FAE-20 einen konkreten natürlichen Wirkstoff identifizieren, der die Gedächtnisleistung im Alter verbessert – zumindest im Tiermodell. Sie hoffen nun darauf, dass ihre Ergebnisse auch für die medizinische Demenzforschung genutzt werden können. „Wir sind da zuversichtlich. Schließlich wird die Pflanze bereits vom Menschen genutzt. Von unseren Ergebnissen mit FAE-20 bei Tieren ist die Übertragbarkeit zurück auf den Menschen daher wahrscheinlich“, so das Forscherteam. Eine Patentanmeldung zur neu gefundenen Anwendung von FAE-20 liegt bereits vor. Der Text basiert auf einer Pressemitteilung des Leibniz-Instituts für Neurobiologie. Quelle: Memory enhancement by ferulic acid ester across species Birgit Michels et al.; Science Advances, doi: 10.1126/sciadv.aat6994 ; 2018