Die Tage schmerzender oder zerborstener Knie könnten bald der Vergangenheit angehören: aus körpereigenen Zellen gezüchtete Implantate versprechen Heilung - selbst der Aufbau neuer Kniegelenke scheint möglich.
Ärzte an der Abteilung für Unfallchirurgie der medizinischen HochschuleHannover (MHH) haben einen heißen Herbst vor sich. Gelingt dieOperation ihrer Patientin nicht, droht ein Traum zu platzen. Klapptaber alles wie geplant, stünde eine sensationelleRekonstruktionsmethode vor dem Alltagseinsatz: die Regeneration desgesamten Kniegelenks mit Hilfe des so genannten Tissue Engineering. DieTage des künstlichen Kniegelenks wären gezählt.
Bis es soweit ist, muss Silke Gruber (Name von der MHHgeändert) noch warten. Ein schwerer Unfall, bei dem die junge Frauneben mehrfachen Beckenbruch auch massive Splitterungen am Knie erlitt,hinterließ weitere Folgen. "Bei dem Unfall wurde ein Stück Gelenkflächeam Kniegelenk abgeschert, es fehlt seither", beschreibt ChristianKrettek, Leiter der Unfallchirurgie, den tragischen Fall.
Nun soll ein passendes Kniegelenk-Implantat aus körpereigenen Zellendie Malaise beheben. Es geht ums Ganze: das Implantat wird nach Willender Ärzte nicht nur passgenau sein, es soll auch maßgeschneidert in diefehlende Stelle gelangen. Dazu werden die Ärzte um Krettek ihrerPatienten Zellen aus dem Beckenkamm entnehmen. Die Zellen werden dannin der Petrischale vermehrt und vor der zweiten, entscheidendenOperation auf eine spezielle Matrix aufgebracht. Die besteht imVergleich zu andren Matrizes aus Vlies lediglich aus reinen Knochen -der eine exakte Nachahmung der Kniegelenksform der Patientin darstellt.
Eine Computertomographie von Silke Grubers Knie liefert dabei jeneMaße, nach denen der Matrix-Knochen vor der Besiedlung mit denkörpereigenen Zellen geformt wird. Sechs Wochen nach diesem Schrittsoll die Implantation erfolgen.
Dazu werden die Chirurgen die mit der kostbaren Fracht beladene Matrixauf die fehlende Gelenkfläche übertragen. Der Clou: im Körper derPatientin läuft die Zellteilung des implantats weiter, irgendwann habensich Matrix und die eingesetzten Zellen in die fehlende Gelenkflächeverwandelt. Die Details freilich offenbaren, welche Klippen zuumschiffen sind. So müssen in das Implantat Blutgefäße hineinwachsenkönnen - ohne die wäre die Operation zum Scheitern verurteilt. DreiMonate nach dem Eingriff könnte auch diese wichtige Hürde genommensein, mutmaßen die Ärzte an der MHH.
Enormes Marktpotenzial, Methode für den Alltag?
Ein Erfolg in diesem Bereich des "Tissue Engineering" käme einemDurchbruch gleich. Denn die ursprünglichen Umsatzhoffnungen erfülltensich bisher entgegen der Hoffnungen der Biotech- undMedizintechnikbranche so gut wie nicht, wie eine Studie desFraunhofer-Instituts für Systemtechnik und Innovationsforschung inKarlsruhe vor zwei Jahren für die EU-Kommission belegte. Danacherzielte die Branche weltweit nicht mehr als 60 Millionen Euro Umsatzpro Jahr. Zum Vergleich: Die Landesbank Baden-Württemberg schätzt alleindas Marktpotenzial für künstliche Knorpel auf jährlich 6,5 MilliardenEuro. 113 Unternehmen befassten sich zum Zeitpunkt der Untersuchung inder EU mit der Herstellung von künstlichem Gewebeersatz - die meistenvon ihnen sind kleine, forschungsorientierte Unternehmen.
Im Pilotverfahren der MHH jedoch geht es nicht mehr um Knorpelersatz -es geht um die Konstruktion ganzer Gelenke mit der beschriebenenKnochenmatrix. Damit wäre der Einsatz im Alltag programmiert, und derSprung des Tissue Engineering ins Reich der etablierten Anwendungenzumindest in der Orthopädie womöglich geschafft.
Allerdings werden die Chirurgen frühestens Ende dieses Jahreswissen, ob die Methode wirklich funktioniert. Die Vorteile im Vergleichzu den konventionellen Verfahren jedenfalls sind schon heute abzusehen,wie Michael Jagodzinski, Oberarzt an der Abteilung für Unfallchirurgie,unlängst attestierte: "Bei einem künstlichen Kniegelenk müssten wirvorher noch vorhandene Knochen und Knorpel entfernen - außerdem ist diekünstliche Variante nie so passgenau wie das Original."