Schön, dass auch andere ihre Probleme haben: Beim IT-Projekt des britischen National Health Service explodieren die Kosten und die Akzeptanz wackelt. Doch die Sache wird durchgezogen.
Das deutsche Theater in Sachen elektronischer Gesundheitskarte istinternational einzigartig und wird im Ausland mittlerweile mitzunehmendem Kopfschütteln zur Kenntnis genommen. Andere Länder, dieehrgeizige IT-Programme für das Gesundheitswesen aufgelegt haben, habenaber durchaus auch so ihre Probleme. Jüngstes Beispiel istGroßbritannien, wo das National Audit Office (NAO), eine ArtRechnungshof, jetzt einen lange erwarteten Bericht vorgelegt hat, der das IT-Programmdes britischen National Health Service (NHS) bewertet. Anders als beiuns, wo formal die Selbstverwaltung zuständig ist, ist das NHS NationalProgramme for IT in Großbritannien ein Staatsprojekt. AusführendesOrgan ist die dafür geschaffene Behörde NHSConnecting for Health.
Zwanzig Milliarden Euro gelten als "optimistisch"
Während das deutsche eCard-Projekt so konzipiert ist, dass zuerst eineChipkarteninfrastruktur aufgebaut wird, gehen die Briten einen etwasanderen Weg. Herzstück des NHS-Projekts ist eine landesweite Landschaftelektronischer Patientenakten, mit denen die Ärzte arbeiten sollen,NHS Care Records Service genannt. Diesewerden in einem ersten Schritt nur grob verbunden, sodassKerninformationen wie Diagnosen dann landesweit verfügbar wären. Esfolgt eine Art Online-Buchungssystem für Facharztbesuche, Choose andbook genannt. Weitere Komponenten sind elektronische Rezepteund schließlich eine Ausweitung der initial aufgebauten, lokalenPatientenakten zu einem landesweiten Aktensystem, in dem dann auchmedizinische Bilddaten gespeichert werden sollen. Ein Patientenzugriffauf medizinische Daten ist zwar prinzipiell angedacht, wird aber nichtin den ersten Stufen realisiert.
Hinsichtlich der Kosten des Projekts war man auf der Insel vonvornherein ehrlicher. In Deutschland bringt es noch immer keinOffizieller über die Lippen, dass das Komplettprojekt inklusiveelektronischer Akten nicht eine, drei oder fünf, sondern eher zehn,zwanzig oder dreißig Milliarden Euro kosten wird. In Großbritanniensprach man anfangs von 6,8 Milliarden Pfund, also knapp zehn MilliardenEuro. Der Rechnungshof hat diese Schätzung jetzt auf knapp 19Milliarden Euro fast verdoppelt. Interessanterweise hat dieser Punktkeinen Aufschrei, sondern eher Erleichterung verursacht. Denneigentlich waren die meisten davon ausgegangen, dass der Rechnungshofeher mit 30 Milliarden Euro rechnen würde. "Gesunder Optimismus" istdenn auch das Schlagwort, das den NAO-Bericht nach seinerVeröffentlichung am häufigsten medial begleitete. Man muss dazu wissen,dass die NAO-Berichte mit den jeweils zuständigen Behörden abgestimmtwerden. Sie sind also nicht unabhängig. Kritiker monieren denn auch,dass der Bericht von den Verantwortlichen bei NHS Connecting for Healthetwas zu intensiv gegengelesen wurde, bevor er schließlich das Lichtder Öffentlichkeit erblickte.
Was fehlt ist das Konzept
Trotz dieser Mängel ist der Bericht eine interessante Lektüre und legtdie Finger in zahlreiche Wunden, die auch bei der elektronischenGesundheitskarte klaffen. So ist das Projekt, das nach ursprünglichenPlänen im Jahr 2012 abgeschlossen sein sollte, nach Auffassung vonBeobachtern mindestens zwei Jahre hinter dem Zeitplan. Der NAO schiebtdas auf Liefer- und Implementierungsschwierigkeiten sowie auf Ärzte,denen die Technik suspekt ist. Kritiker sind allerdings eher derAuffassung, dass der NHS nicht genau weiß, wo er eigentlich hin will,und deswegen Vorgaben macht, die für eine praxistauglicheImplementierung nicht ausreichen. Tatsächlich ist zumindest nachAuffassung einiger Ärzte die ungeklärte Frage, was eigentlich genau inden Praxen beziehungsweise Kliniken dokumentiert werden soll, daswichtigste Hemmnis. Dass das Mammutprojekt auch für IT-Unternehmenriskant ist, zeigt das Straucheln von iSoft, Hersteller des aufeinrichtungsübergreifende Kommunikation angelegten InformationssystemsLorenzo. Das Unternehmen hat mittlerweile seinen Vorstand und einenGroßteil seines Aktienkurses verloren. Hintergrund: Solange das NHSIT-Projekt nicht steht, tragen die beteiligten Unternehmen daswirtschaftliche Risiko.
Wie in Deutschland sorgen sich viele Ärzte außerdem um den Datenschutz.Dennoch sind weiterhin zwei Drittel der Ärzte der Auffassung, dass dasSystem langfristig erhebliche Arbeitserleichterungen bringen werde. InDeutschland liegt dieser Wert dagegen derzeit im unteren einstelligenProzentbereich, was unter anderem eine Umfrage der KV Nordrhein gezeigt hat. Das liegtwesentlich daran, dass kaum jemand dem in Deutschland geplantenChipkartensystem zutraut, praxistauglich zu werden. Solange dieVerantwortlichen nicht mit den Tests beginnen und das Gegenteilbeweisen, wird sich daran auch nichts ändern.