Bei Patienten mit arterieller Hypertonie reichen Lebensstiländerungen nicht immer aus. Kardiologen zeigen jetzt, dass Betroffene von vier niedrig dosierten antihypertensiven Arzneistoffen in Kombination profitieren. Doch ihre Studie ist nicht frei von Schwächen.
„Hypertonie ist mittlerweile ein gesamtgesellschaftliches Problem und durchzieht alle Bevölkerungsschichten – nicht nur die ältere Bevölkerung, wie weitgehend angenommen“, gab Professor Dr. Burkhard Weisser beim letzten Kongress der Deutschen Hochdruckliga zu bedenken. Er forscht am Institut für Sportwissenschaft der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Weisser zufolge leiden aktuell etwa drei Prozent aller Kinder und Jugendlichen an Bluthochdruck. Als Grund sehen Fachgesellschaften vor allem Übergewicht und Bewegungsmangel. Für Ärzte stehen – wie auch bei älteren Patienten – Lebensstil-Interventionen an erster Stelle. Stellt sich kein Erfolg ein, bleibt nur der Griff zum Rezeptblock. Bevölkerungsanteil mit Bluthochdruck in ausgewählten Ländern. © Statista
„Die meisten Patienten erhalten jedoch nur eine Monotherapie, was zu schlechten Ergebnissen führt“, kritisiert Professor Dr. Clara K. Chow von der University of Sydney. Blutdruckwerte würden nur um 9/5 mmHg verringert. „Deshalb sind neue Strategien dringend erforderlich.“ Clara K. Chow. © University of Sydney Bei einer Literaturrecherche fand die Kardiologin weitere Anhaltspunkte. Sie wertete 36 ältere Studien mit 4.721 Teilnehmern aus. Dabei zeigte sich, dass ein Arzneistoff schon bei der geviertelten Dosierung laut Leitlinie den Blutdruck versus Placebo um 5/2 mmHg verringert. Bei zwei Wirkstoffen ermittelte sie 7/5 mmHg. Chow kam daraufhin eine Idee. Sie kombinierte 37,5 mg Irbesartan, 1,25 mg Amlodipin, 6,25 mg Hydrochlorothiazid und 12,5 mg Atenolol zu einer Vierfachpille.
Ihr Konzept hat die Wissenschaftlerin in einer kleinen randomisierten Studie getestet. Sie rekrutierte 21 Personen mit arterieller Hypertonie. Ihre Teilnehmer hatten im Schnitt einen Blutdruckwert 154/90 mmHg bei der Messung in ihrer Praxis. Durch eine Langzeit-Blutdruckmessung über 24 Stunden ermittelten die Ärzte 140/87 mmHg. Die Forscherin wählte ein Crossover-Design. Alle Probanden erhielten randomisiert Vierfachpillen oder Placebos. Nach vier Wochen schloss sich eine zweiwöchige Auswaschphase an. Dann gab es die jeweils andere Option. Unter Verum verringerte sich der Blutdruck in der Arztpraxis um 22/13 mmHg. Beim 24-Stunden-EKG waren es systolisch 19 mmHg weniger. Alle Unterschiede erwiesen sich als statistisch signifikant. Aus verschiedenen Gründen beendeten nur 18 Patienten die Studie. Sie erreichten mit der Vierfachkombi allesamt das Ziel von 140/90 mmHg. Unter Placebo waren es nur sechs von 18 Patienten. Chow sagt, die Kombination eigne sich zur erfolgreichen Initialtherapie. „Die Minimierung von Nebenwirkungen ist für Langzeitbehandlungen wichtig – wir haben in dieser Studie keine Probleme gesehen.“ Sie hofft deshalb auf eine höhere Therapietreue. Da alle Wirkstoffe einzeln zugelassen sind, rechnet die Expertin mit keinen großen Hürden.
Trotzdem bleiben ein paar kritische Aspekte. Professor Dr. Thomas Eschenhagen, Direktor des Instituts für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, bewertet in einem Blogbeitrag Atenolol „nicht mehr als Mittel der ersten Wahl“ zur antihypertensiven Therapie – mit folgender Ausnahme: „Bei Vorliegen einer koronaren Herzkrankheit, nach Herzinfarkt, bei Herzschwäche, Vorhofflimmern oder anderen Herzrhythmusstörungen bleiben Betablocker erste Wahl.“ Auch die Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen. Dass das George Institute for Global Health von einer – so wörtlich – „Pilotstudie“ spricht, erscheint angesichts von 21 Patienten mit Hypertonie doch recht hochgegriffen zu sein. Um mögliche Nebenwirkungen zu erfassen, ist die Zeit zu kurz. Kardiovaskuläre oder renale Endpunkte lassen sich aus dem gleichen Grund ebenfalls nicht angeben. Genau das fordern internationale Fachgesellschaften.
Chow und Kollegen wünschen sich jetzt eine groß angelegte, längerfristige Studie. Dabei kann es durchaus zu wenig erfreulichen Ereignissen kommen, wie ein Blick auf sogenannte „Polypillen“ zeigt. Nicholas Wald, langjähriger Leiter des Wolfson Institute of Preventive Medicine in London schlug vor, allen Patienten jenseits der 55 eine Polypille zu geben, unabhängig von kardiovaskulären Risiken. Das Präparat enthält drei Antihypertensiva und ein Statin in der halben Standarddosierung. Hinzu kommen 0,8 mg Folsäure und 75 mg Acetylsalicylsäure. Walds Hoffnung, die Rate an Herz-Kreislauf-Erkrankungen um 80 Prozent zu senken und die Lebenserwartung um 11 Jahre zu verlängern, bestätigte sich nicht. Laut einer Meta-Analyse mit 7.047 Teilnehmern sank der systolische Blutdruck um beachtliche 7,05 mmHg. Dafür zahlten Patienten einen hohen Preis aufgrund verschiedener Nebenwirkungen. Aussagen zu kardiovaskulären oder renalen Endpunkten waren auch hier nicht möglich. Auch bei der HOPE-3-Studie erfüllten sich die Erwartungen nur teilweise: Welches Schicksal Chows Vierfachpille jetzt nehmen wird, muss sich zeigen.