In Chinas Flussmündungen sitzen Milliarden von antibiotikaresistenten Bakterien. Durch die oft unnötige Einnahme von Antibiotika gelangen die Stoffe über die Ausscheidung ins Abwasser. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese Bakterien für den Menschen gefährlich werden.
Chinas Küsten sind voll von resistenten Bakterien. Das zeigt eine aktuelle Studie1, die in „Nature Microbiology“ veröffentlicht wurde. Weltweit haben Ärzte mit immer mehr Antibiotika-Resistenzen zu kämpfen. Erst im Januar 2017 verstarb eine Rentnerin in den USA, weil sie sich nach einem eigentlich harmlosen Knochenbruch mit einem multiresistenten Klebsiella-Pneumoniae-Bakterium infiziert hatte, gegen das keines der in den USA zugelassenen 26 Antibiotika mehr half.
Chinesische Wissenschaftler haben nun eine besorgniserregende Entdeckung gemacht: Die Flussmündungen Chinas sind offenbar tickende Zeitbomben. Denn dort leben im Sediment der Flüsse Milliarden Antibiotika-resistenter Bakterien. Für ihre Untersuchungen haben die Forscher 90 Proben aus Flussmündungen entlang des 4.000 km langen Küstenstreifen Chinas entnommen. Pro Gramm Flussmündungssediment fanden die Forscher durchschnittlich 1 Million Resistenzgene in den dort lebenden Bakterien – in manchen Regionen sogar bis zu 100 Millionen Resistenzgene pro Gramm Flussschlamm. Wo die zahlreichen Resistenzgene in den dort angesiedelten Bakterien herkommen, liegt auf der Hand: Bereits geringe Mengen an Antibiotika im Wasser üben einen Selektionsdruck auf die dort lebenden Mikroorganismen aus und fördern vor allem das Wachstum und die Verbreitung von resistenten Bakterien. Die Bakterien stammen aus Flussmündungen entlang Chinas 4.000 km langer Küste. Credit: Zhu et al. /Nature Microbiology.
In den Proben fanden die Forscher über 200 verschiedene Resistenzgene, 18 von ihnen kamen in allen getesteten Proben vor. „Die Bandbreite, die ein Bakterium zu einem multiresistenten Superkeim machen können, ist gewaltig“, so Studienleiter Yongguan Zhu. Er und sein Team gehen davon aus, dass jede Bakterienzelle grob geschätzt ein antibiotisches Resistenzgen enthält. Die meisten Bakterien in den chinesischen Flussmündungen sind also gegen mindestens ein Antibiotikum resistent – und tauschen diese Informationen mit anderen Bakterien aus. „Die gefundenen Resistenzgene verleihen den Bakterien eine Resistenz gegen nahezu alle Antibiotikaklassen“, so Zhu. Die Vielfalt der in den Flussmündungen gefundenen Resistenzgene sei sogar höher als die in Proben von chinesischen Schweinemastbetrieben. Studienleiter Yongguan Zhu von der Chinese Academy of Sciences in Xiamen, China. Credit: Zhu
Trotz der großen Region, in der die Wissenschaftler ihre Proben sammelten, konnten sie keine regionalen Muster bei der Verbreitung bestimmter Antibiotika-Resistenzen ausmachen. Weitere Analysen zeigten, dass menschliche Aktivitäten der Hauptgrund für die Verbreitung derartig zahlreicher Resistenzgene sind. Über die oftmals unnötige Einnahme von Antibiotika gelangen diese Stoffe über die menschliche Ausscheidung ins Abwasser. Wissenschaftler gehen davon aus, dass etwa 80 Prozent der vom Menschen eingenommenen Antibiotika den Körper einfach passieren und so in großen Mengen ins Abwasser gelangen. Viele Kläranlagen sind nicht in der Lage, Antibiotika zuverlässig aus dem Abwasser herauszufiltern. Auch der vor allem in China inflationär betriebene Einsatz von Antibiotika in der Tiermast trägt einen wesentlichen Teil zu dieser Entwicklung bei. Nach Angaben der Germany Trade and Invest entfiel im Jahr 2013 mit 162.000 Tonnen über die Hälfte des weltweiten Konsums von Antibiotika auf China. Mehr als die Hälfte davon sollen in der Tierhaltung eingesetzt worden sein. „Es ist davon auszugehen, dass der Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhaltung zur Resistenzentwicklung und insbesondere zur Ausbreitung von resistenten Keimen beiträgt“, bestätigt das Bundesinstitut für Risikobewertung.
„Antibiotische Resistenzgene sind in Bakterien von chinesischen Flussmündungen bereits weit verbreitet – wahrscheinlich spiegeln diese Bakterien ein weltweites Problem wider“, schreiben die Wissenschaftler um Yongguan Zhu. Das Problem ist bekannt und betrifft auch Europa: Das Europäische Präventionszentrum ECDC warnte kürzlich davor, dass gefährliche Resistenzen weiterhin zunehmen. So sei die Zahl der infizierten Menschen, bei denen auch Reserve-Antibiotika wie Carbapeneme nicht mehr wirkten, innerhalb weniger Jahre von 6,2 auf 8,1 Prozent gestiegen. Vor allem in Krankenhäusern sind multiresistente Bakterien ein zunehmendes Problem. Laut Bundesgesundheitsministerium erkranken jährlich 400.000 bis 600.000 Patienten in Deutschland an Krankenhausinfektionen. 10.000 bis 15.000 Menschen sterben jedes Jahr daran. Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) geht sogar von fast einer Million Infektionen und mindestens 30.000 Todesfällen aus. Multiresistente Staphylococcus aureus Bakterien sind die wohl prominentesten Vertreter unter den antibiotikaresistenten Bakterien. Credit: By Eric Erbe, Christopher Pooley, gemeinfrei.
Ob ein Tier in Deutschland mit einem Antibiotikum behandelt wird, entscheidet der betreuende Tierarzt zusammen mit dem Landwirt. In Deutschland verzeichnen die Behörden einen Rückgang beim Einsatz von Antibiotika bei Tieren. So wurden im Jahr 2011 noch 1.706 Tonnen an Tierärzte bzw. tierärztliche Hausapotheken abgegeben, im Jahr 2015 nur noch 837 Tonnen. „Es ist davon auszugehen, dass der größte Anteil dieser Substanzen im Nutztierbereich eingesetzt wird“, so das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Um eine weitere Zunahme der Resistenzen zu verhindern, sollte der Antibiotika-Einsatz nach Auffassung des BfR auf das unbedingt therapeutisch notwendige Maß begrenzt werden. Anstrengungen, die Tiere gesund zu erhalten, damit Behandlungen erst gar nicht erforderlich werden, sollten hierbei im Vordergrund stehen. Alle Bemühungen verpuffen jedoch, wenn sich nicht alle Länder der Erde daran beteiligen. „In Ländern, in denen Landwirte angehalten seien, den Einsatz von Antibiotika bei Tieren zu verringern, seien weniger neue Antibiotikaresistenzen sowie rückläufige Tendenzen zu beobachten“, sagte Marta Hugas, Leiterin des EFSA-Referats (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) für biologische Gefahren, gegenüber „Spiegel-Online“.
Bereits 2013 warnte2 der Wissenschaftler Michael Gillings von der Macquarie University in Sidney, Australien, davor, dass sich resistente Bakterien bereits in nahezu unbewohnte Regionen der Erde wie in der Arktis, der Antarktis und den Urwald rund um den Amazonas ausgebreitet hätten. In einer Pressemeldung sagte er: „Die Menschen überfluten die Erde mit Antibiotika und antibiotischen Resistenzgenen. Das wird sehr wahrscheinlich nachhaltige und unvorhersehbare Konsequenzen haben.“
Doch auch völlig ohne menschliches Zutun können Bakterien Resistenzen gegen gängige, vom Menschen geschaffene Antibiotika entwickeln. Jüngstes Beispiel dafür ist ein seit Jahrmillionen isoliertes Bakterium, das Wissenschaftler in der Lechugilla-Höhle in New Mexico gut 300 Meter unter der Erdoberfläche entdeckten.3 26 von insgesamt 40 getesteten Antibiotika konnten dem Bakterium nichts anhaben. Ein Einwirken der modernen Medizin scheint in diesem Fall ausgeschlossen. Über die Gründe für solche von der Außenwelt abgeschnittenen, multiresistenten Bakterien rätseln Forscher noch. Den Prozess der Multiresistenzbildung aber grundsätzlich als natürlich einzustufen, kann fatale Folgen für die Menschheit haben. Lechuguilla Höhle, New Mexico. Credit: Max Wisshak (2012).
1 Continental-scale pollution of estuaries with antibiotic resistance genes. Nature Microbiology 2, Article number: 16270 (2017) 2 Evolutionary consequences of antibiotic use for the resistome, mobilome, and microbial pangenome. Front. Microbiol., 22 January 2013 3 A diverse intrinsic antibiotic resistome from a cave bacterium. Nature Communications 7, Article number: 13803 (2016).