Nahezu unbemerkt steht die Pharmazie vor einer Zeitenwende: Nanosysteme sollen in Zukunft Wirkstoffe dorthin transportieren, wo bislang noch kein Medikament gelangen kann. Die Anwendungspotenziale sind enorm.
Die Fachmesse "nano tech 2006" in Tokio galt vor genau drei Monatenunter Fachleuten als ein Muss - und blieb hierzulande von Laien kaumbeachtet. Dabei ist das, was auch deutsche Wissenschaftler zu verkündenhatten, der Beginn einer neuen Zeit. Denn nach Jahrzehnten quälenderForschung scheint jetzt der Knoten geplatzt zu sein: Medikamente lassensich gezielt dahin steuern, wo sie Wirkstoffforscher haben wollen. EineGeneration vollkommen neuartiger Medikamente rückt damit näher. Gewiss,die erzielten Erfolge entstammen meist der Grundlagenforschung, dieNanopille im Apothekenregal wird noch auf sich warten lassen. Doch derstetige Vorstoß der kleinen Zwerge ist unübersehbar - und lässt sichnicht mehr umkehren.
So gelang Fraunhofer-Forschern vom ThemenverbundNanotechnologie das, was noch vor wenigen Jahren niemand für möglichhielt. Sie entwickelten so genannte biofunktionelle Nanopartikel, dieKrebszellen gezielt in den Tod treiben können. "Diese zellähnlichenGebilde haben einen festen Kern, der umgeben ist von Proteinen, dieKrebszellen aufspüren und vernichten", erklärte unlängst Günter Tovarvom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen und Bioverfahrenstechnik IGB ,das Prinzip.Wie komplex die Nanomedizin der Zukunft wirkt, zeigt Tovars Entwicklungbei näherem Hinsehen. Während nämlich herkömmliche Arzneimittel mitBrachialgewalt in den Organismus gelangen, und im Vergleich zu ihrenNano-Pendants dort geradezu ziellos umherirren, erweisen sich dieZwerge der Wirkstoffforschung als mächtige Innovationen. Die als"Nanocytes®" bezeichneten Nano-Wirkstoffmoleküle derFraunhofer-Forscher etwa tötetn Krebszellen in der Petrischale schonbeim bloßen Kontakt ab. Den einzigartigen Effekt der Nanopartikelzeichneten die Wissenschaftler auf - der Film zählte auf der "nano tech2006" in Tokio zu den Highlights der Veranstaltung.
Nicht minder beeindruckend und bereits klinisch getestet istein Verfahren, das Wissenschaftler an der Berliner Charitéentwickelten. Bei der so genannten Hyperthermie setzen die Forscherwinzige Partikel aus magnetischem Material ein. Der Clou: DieseWirkstoff-Zwerge werden im menschlichen Organismus gezielt vonKrebszellen aufgenommen. Sobald die Nanoteilchen in den Krebszellenangekommen sind, kommt es zur eigentlichen Aktivierung desTherapeutikums. Dazu magnetisiert und entmagnetisiert ein von außenangelegtes Magnetfeld die Nanowirkstoffe. Infolge dieses Prozessesentsteht Hitze, die letzten Endes die Tumorzellen zerstört. Der Vorteilder Methode liegt auf der Hand. Andere Körperzellen bleiben intakt,weil nur Krebszellen die spezielle "Nanomedizin" aufnehmen.
Auch im Bereich des Drug -Targeting gibt es deutliche Fortschritte.Forscher an der Universität Frankfurt beispielsweise entdeckten, dassNano-Polymere als Transportmittel Wirkstoffmoleküle "Huckepack" in dieZelle befördern. Die beladenen Zwerge lagern sich in der Nähe derTumorzellen an, wo der mitgelieferte Wirkstoff anschließend in hohenKonzentrationen zum Einsatz kommt. Selbst die als unüberwindbargeltende Blut-Hirn-Schranke könnten derart beladene Nanopartikelüberwinden.
Wettlauf um die Nanowirkstoffe ist eröffnet
Der Wettlauf um die neue Medizin der Zukunft scheint endgültigeröffnet. So gründeten die Medizinischen Universitäten Graz, Wien undInnsbruck gemeinsam mit der Österreichische Akademie der Wissenschaftendie BioNanoNet GmbH. Im Visier der Arzneimittelforscher stehen dabeichronisch-degenerative und chronisch-infektiöse Erkrankungen.
Wie weit das Potenzial der Nano-Wirkstoffe reicht, zeigt ein anderesBeispiel. Einem Team des Industriekonzerns Henkel gelang es inZusammenarbeit mit dem Nanotech-Spezialisten SusTech, ein Mittel zumSchutz schmerzempfindlicher Zähne zu entwickeln. Bei dem neuartigenPräparat handelt es sich um einen synthetischen Wirkstoff, der demZahnmaterial gleicht. Das allein wäre weder neu, noch innovativ. Dochder Wirkstoff besteht aus Nano-Calciumphosphat (Apatit) und Eiweiß imNanomaßstab - und induziert den als Neomineralisation bekanntenProzess. Denn die Nanopartikel reagieren Calcium aus dem Speichel desAnwenders und setzt sich danach auf der Zahnoberfläche ab. Erst dortverbindet sich die Nano-Substanz mit dem freiliegenden Dentin, um einezwei bis drei Mikrometer dünne Schutzschicht um die Nervenkanäle zubilden - der Schmerz bleibt aus.