Wenige Wochen vor der Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses über die künftige Erstattungsfähigkeit von Insulinanaloga hat der Protest der Patienten einen neuen Höhepunkt erreicht. Mit 150.000 Unterschriften setzt der Deutsche Diabetikerbund (DDB) ein deutliches politisches Zeichen - und kritisiert seine Kritiker.
Müssen Diabetiker, die sich Insulinanaloga statt Humaninsulin spritzen, in der Apotheke künftig in die eigene Tasche greifen, wenn sie gesetzlich versichert sind? Alle? Nur ein Teil von ihnen? Nur wenn das Analoginsulin als Ersttherapie eingesetzt wird? Die Antwort auf diese Fragen soll in wenigen Wochen, voraussichtlich im Juni, der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) liefern. Ihm liegt zur Entscheidungshilfe ein auf der systematischen Auswertung randomisierter, kontrollierter Studien basierender Bericht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Medizin (IQWiG) vor. In diesem Bericht billigt das Institut den Analoginsulinen keinen patientenrelevanten Zusatznutzen zu, eine These, die zu einem bisher beispiellosen Proteststurm geführt hat.
Patientenverband gelingt starke Mobilisierung
Zwar waren auch andere IQWiG-Berichte, namentlich der zur Statintherapie, umstritten. War im letzteren Fall der Protest jedoch vor allem vom Hersteller orchestriert, so hat der Widerstand gegen die Herausnahme der Analoginsuline aus dem Erstattungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung doch eine andere Qualität. Zum Wortführer der Kritik hat sich der Deutsche Diabetikerbund (DDB) aufgeschwungen, was insofern bemerkenswert ist, als Patientenverbände hierzulande längst nicht den Status und Einfluss haben, den sie zum Beispiel in den USA genießen. In einer seit zwei Monaten unter anderem in den Apotheken laufenden Unterschriftenaktion wurde jetzt die 150000. Unterschrift gesammelt und der Bundesregierung übergeben. Bei 1,5 Millionen insulinpflichtigen Diabetikern in Deutschland, von denen laut Bundesregierung 200000 ein Analoginsulin einsetzen, kann diese Zahl schon beachtlich genannt werden. Das Hauptargument der Diabetiker: Das IQWiG-Papier blende die Versorgungsrealität völlig aus und konzentriere sich ausschließlich auf medizinische Evidenz. DDB-Vorsitzender Manfred Wölfert hält dem entgegen: "Wir fordern, dass der Gemeinsame Bundesausschuss die patientenbezogene Evidenz gleichwertig in seiner Entscheidung berücksichtigen muss". Wölfert zeichnet auch als Autor verantwortlich für einen relativ harschen Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung. Diese hatte sich in der Überschrift eines Artikels die IQWiG-Position zu eigen gemacht: "Demonstration der Diabetiker - Zuckerkranke fordern teures Insulin ohne Zusatznutzen".
Vorwurf: Wenns die eigenen Argumente stützt, gehts auch ohne RCT
Nun ist es nicht so, dass das IQWiG-Gutachten Patientenfaktoren aus seiner Bewertung ausnimmt. Im Gegenteil. Der DDB wirft dem Gutachten aber in diesem Punkt eine gewisse Willkür vor, wie der Verband in einer Stellungnahme erläutert. Insbesondere wird kritisiert, dass einerseits an Studien zum Nachweis der Patientenerfahrung die Anforderung höchster Evidenz gestellt wird. Andererseits würden aber immer wieder Untersuchungen oder Arbeiten zitiert, die diesen Anspruch nicht erfüllen, die aber inhaltlich die Argumentationslinie des IQWiG stützen. Erwähnt wird vomDDB unter anderem eine im IQWiG-Bericht als Argument vorgebrachte Untersuchung zu einem Verfahrensweg, der auf den Spritz-Ess-Abstand bei Humaninsulintherapie verzichtet. Dies sei aber weder zugelassen noch in Studien geprüft. Ein kürzerer Spritzessabstand bei den Analoginsulinen ist eines der Hauptargumente des DDB für diese Substanzklasse, weil dies die Integration der Diabetiker in den Arbeitsalltag erleichtere. Ein weiteres, sicher anfechtbares Argument ist die Verbesserung postprandialer Blutzuckerwerte, die die Compliance erleichtere.
IQWiG-Chef gibt sich betont moderat
Die meisten Beobachter gehen inzwischen davon aus, dass sich der G-BA nicht trauen wird, die Analoginsuline aus dem Leistungskatalog komplett zu streichen. Interessant wird sein, an welche Bedingungen ihr Einsatz künftig geknüpft wird. Die Bundesregierung hat kürzlich als Reaktion auf eine parlamentarische Anfrage der FDP erklärt, dass sie lediglich die Rechtmäßigkeit des G-BA-Beschlusses, nicht aber die Nutzenbewertung des IQWiG prüfen werde. Das könnte darauf hin deuten, dass man nicht gedenkt, sich in diesem Fall nachträglich einzumischen. Andererseits gibt es Äußerungen des IQWiG-Chefs Professor Peter Sawicki, die von einigen als Zurückrudern gewertet werden. Der DDB zitiert beispielsweise einen Satz Sawickis anlässlich der Mitteldeutschen Fortbildungstage: "Wissenschaft ist nur ein, zwar wichtiger, aber nicht ausschließlicher Teil der Entscheidung. Hinzu kommen die Versorgungsrealität und die Werte einer Gesellschaft". Auch auf einem kürzlich von dem in Sachen Insulinanaloga unverdächtigen Unternehmen Roche veranstalteten Gesundheitspolitik-Forum in Berlin äußerte sich Sawicki moderat. Es sei durchaus denkbar, dass Berichte auch einmal korrigiert werden müssten. Nur: Mit den weiteren Entscheidungen haben Sawicki und sein Institut jetzt erstmal nichts mehr zu tun. Der schwarze Peter liegt beim G-BA. Kein beneidenswerter Job...