Auch Ärzte sind Gewohnheitstiere, zumindest was die Verschreibungen bei Patienten mit Schlafstörungen betrifft. Die Symptome scheinen dabei fast keine Rolle mehr zu spielen. Getreu dem Motto: Sag mir, was du gestern bekommen hast, und ich weiß, was ich dir heute verschreibe.
Das Arzt-Patienten-Verhältnis ist von Natur aus sehr dynamisch. Und so sollte es eigentlich auch bei der Verschreibung von Medikamenten sein. Doch ist es tatsächlich so? Eine aktuelle Studie, die sich einmal das Verschreibungsverhalten von Ärzten bei Schlafstörungen angesehen hat, zeigt ein eindeutiges Bild, nämlich eines vom Arzt als „Wiederholungstäter“. Im Normalfall wird die Entscheidung eines Arztes von verschiedenen Einflussgrößen bestimmt, z. B. von sozialen und psychologischen Aspekten, vom Druck der Vorgesetzten oder Fachkollegen sowie von der Einstellung gegenüber Werbemaßnahmen der Pharmaindustrie. Für die pharmakologische Behandlung von Schlafstörungen tritt im Ergebnis der Studie ein weiterer – durchaus starker – Faktor hinzu: die Gewohnheit.
Die Studie verglich die Entscheidung von Ärzten hinsichtlich einer Verschreibung für das Sedativum Zolpidem gegenüber dem Antidepressivum Trazodon. Letzteres wird gern bei Schlaflosigkeit verschrieben, da es als eine „Nebenwirkung“ allgemein sehr schläfrig macht. Die Ergebnisse zeigten klar, dass Ärzte, die zuvor bei Schlafstörungen eines der beiden Medikamente verschrieben hatten, dreimal häufiger dasselbe Medikament wieder verschrieben (OR = 3,13; p = 3 × 10−37) als die vergleichbare Alternative. Einzige Ausnahme waren Patienten mit Schlafstörungen sowie gleichzeitig bestehenden Symptomen für eine Depression. Sie erhielten dann etwas häufiger Trazodon (OR = 1,38, p = 0,04). Denn Zolpidem hätte bei diesen Patienten ja lediglich den Schlaf, nicht jedoch ihre Depression gebessert. Die Autoren werten diese Ausnahme als Hinweis dafür, dass bestimmte Patientenmerkmale doch eine Rolle bei der klinischen Entscheidungsfindung der Ärzte spielen müssen.
Schlafstörungen werden auch heute noch vielfach nicht erkannt oder ihnen wird nicht das nötige Gewicht eingeräumt. Ebensowenig werden dann Ursachen und Folgen der Schlafprobleme genauer analysiert. Ein größerer Fokus auf Patientenmerkmale und Symptome könnte zukünftig zu einem differenzierteren Umgang mit Schlafmedikamenten führen und schließlich auch zu größerer Vielfalt bei den Verschreibungen. Man darf nicht vergessen, dass schlaffördernde Medikamente, wenn überhaupt, dann lediglich für kurze Zeit eingesetzt werden sollten, um einem möglichen Gewöhnungseffekt vorzubeugen. Sonst sehen wir bald nur noch den Arzt, der gewohnheitsmäßig verschreibt, und seinen Patienten, der gewohnheitsmäßig empfängt. Originalpublikation: Predictive Modeling of Physician-Patient Dynamics That Influence Sleep Medication Prescriptions and Clinical Decision-Making Beam AL et al., Scientific Reports, doi: 10.1038/srep42282; 2017