Mit einem faszinierenden Experiment zeigen Wissenschaftler aus den USA, was in Zukunft alles möglich sein könnte, wenn die Zellbiologie bei Krebszellen noch besser erforscht ist. Ein Hühnerembryo verwandelt bösartige, menschliche Melanomzellen in zahme Lämmer.
Das Prinzip ist jedem Medizinstudenten geläufig: Der Organismus kommt nicht zum Krebs wie die Jungfrau zum Kinde. Bösartige Tumore sind Produkte des Körpers. Sie entstehen aus eigenen Zellen, die, aus welchen Gründen auch immer, außer Rand und Band geraten. Wenn Melanozyten ihre Funktionen aufgeben und zum malignen Melanom werden, dann haben sich harmlose Pigmentzellen in Zellen verwandelt, die zu den aggressivsten gehören, die die Humanbiologie kennt.
Es muss nicht immer die Keule sein
Was die Medizin dem entgegensetzt, ist eine Demonstration von Stärke. Das Wirkprinzip der meisten Chemotherapeutika ist letztlich rohe, zelluläre Gewalt. Mittels unterschiedlichster Mechanismen wird versucht, die Krebszellen an der Ausbreitung zu hindern. Dabei eröffnet der beschriebene Weg der Krebsentstehung theoretisch noch einen ganz anderen Ansatzpunkt für eine Anti-Tumor-Therapie: Wenn gutartige Zellen entarten können, dann ist es zumindest denkbar, dass dieser Weg auch in umgekehrter Richtung gangbar ist. Mit einem faszinierend einfachen Experiment haben Forscher der Kinderklinik der Northwestern University in Chicago im US-Bundesstaat Illinois und des Stowers Institute in Kansas jetzt den Beweis angetreten, dass diese Theorie Hand und Fuß hat. Es ist ihnen gelungen, ein menschliches, malignes Melanom genetisch umzuprogrammieren. Die Zellen des ehemals aggressiv wachsenden Tumors verhalten sich plötzlich wieder wie ganz normale Zellen, wie die Wissenschaftler in den Proceedings der National Academy of Sciences berichten. Auch die US-Wissenschaftler haben natürlich den Schlüssel für eine solche Umprogrammierung nicht in der Hand. Welche molekularen Informationen den Zellen eines malignen Melanoms genau zugeführt werden müssen, um sie davon zu überzeugen, wieder gutartig zu werden, ist nicht bekannt. Die Forscher haben sich deswegen Hilfe bei Mutter Natur geholt: Sie haben die Arbeit von einem Hühnerembryo erledigen lassen.
Hühnerembryo macht Gehirnwäsche bei ausgetickten Melanozyten
Zunutze gemacht haben sie sich dabei die Embryonalentwicklung. Melanozyten entstehen zu Beginn des Lebens aus denselben Zellen, aus denen auch die menschlichen Nervenzellen hervorgehen. Werden nun maligne entartete Melanozyten ähnlichen Bedingungen ausgesetzt, wie sie im Gebiet der neuronalen Stammzellen eines Hühnerembryos herrschen, dann gelingt es diesem Milieu tatsächlich, die Zellen wieder zur Räson zu bringen. Zeigen konnten die Forscher das mit Hilfe moderner Darstellungsmethoden, die es ihnen erlaubten, die fluoreszenzmarkierten Melanomzellen während der Embryogenese zu beobachten. Das Entscheidende: Die Zellen bilden keine Tumoren aus. Stattdessen reihen sie sich brav in jene Entwicklungs- und Reifungsprozesse ein, die auch die hühnereigenen Zellen durchmachen. Ausgehend vom Neuralrohr, das später Hirn und Rückenmark bildet, wandern die in den Hühnerembryo transplantierten, menschlichen Melanomzellen entlang der Entwicklungslinien, denen auch die umgebenden Zellen folgen. Sie siedeln sich über all dort an, wo entwicklungsgeschichtlich neuronales Gewebe auftritt, und nirgends sonst. "Die Verwandtschaft dieser beiden Zelltypen sorgt für eine wunderbare Brücke zwischen Entwicklungsbiologie und Krebsbiologie", so Professor Paul Kulesa aus Kansas.
Nicht nur äußerlich gebändigt, sondern auch innerlich zahm
Aber sind die Melanomzellen dadurch wirklich zu anderen Zellen geworden? Wurden sie nur durch das embryonale Milieu gezähmt, oder wurden sie tatsächlich umprogrammiert? Zumindest für einen Teil der Zellen konnten Kulesa und seine Kollegin aus Chicago, Professor Mary Hendrix, genau das nachweisen. So exprimierten die in den Embryo übertragenen Krebszellen nach 48 und 96 Stunden plötzlich spezialisierte molekulare Marker, die typisch für Melanozyten und neuronale Zellen sind und die sie vorher, als sie noch Krebszellen waren, nicht exprimiert hatten. Dass diese Beobachtungen den Weg zu neuartigen Krebstherapien weisen könnten, ist den Wissenschaftlern sehr bewusst: "Es sollte in Zukunft möglich sein, jene Moleküle zu identifizieren und zu testen, denen diese Umprogrammierung zu verdanken ist", so Hendrix. Dieses Wissen könnte dann therapeutisch genutzt werden, für neue Medikamente oder auch für Zelltherapien.