Ob Blogger, Podcaster oder Forenbetreiber, es wird in die Tasten gehauen, um sich der großen weiten Welt mitzuteilen. Gelähmten Menschen ist dieser Sport versagt, wenn die Finger sich nicht mehr bewegen lassen. Die Lebensqualität sinkt gar auf ein Minimum, wenn die Kommunikation nur noch mit Kopfnicken oder Kopfschütteln möglich ist. In diesem Fall könnte die "mentale Schreibmaschine" Wunder bewirken.....
Schreiben mit "rechten" und "linken" Gedanken
Europäische und amerikanische Forscher beschäftigen sich bereits seit mehreren Jahren mit der Entwicklung so genannter Brain Computer Interfaces (BCI), Doccheck berichtete darüber im Newsletter 05/18. Die BCI-Technologie, die Gehirnaktivitäten zur computergesteuerten Aktivierung von elektronischen oder mechanischen Units nutzt, verspricht Querschnittgelähmten, komplett Gelähmten oder Prothesenträgern ganz erhebliche Erleichterungen im täglichen Leben. Zu den bekannten Forscherteams zählen auch die Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Rechnerarchitektur und Softwaretechnik (FIRST) und der Klinik für Neurologie an der Berliner Charité. Ihr Ziel: Wer "rechts" und "links" denken kann, soll in Zukunft schreiben können - und das allein mit der Kraft seiner Gedanken. Die erste öffentliche Präsentation von Life-Versuchen gab es auf der diesjährigen CeBIT zu sehen.
Hoher Aufwand für bizarre EEG-Kopfhaube
Die vorbereitende Prozedur ist aufwändig. Eine volle Stunde dauert es, "bis der Messkontakt jeder einzelnen Elektrode - insgesamt 128 - mit der Kopfhaut durch das Einspritzen eines Elektrolytgels hergestellt ist", erläuterte Dr. Benjamin Blankertz, einer der Projektleiter des FIRST-Instituts, der Doccheck-Redaktion. Optisch wird das Ergebnis keinem Schönheitswettbewerb standhalten, aber angesichts der Möglichkeiten sind das banale Nebensächlichkeiten. Hinzu kommt, dass das Verfahren non-invasiv ist. Über die Elektroden werden die elektrischen Signale aus dem primär-motorischen Kortex vom Elektroenzephalogramm (EEG) aufgenommen, nochmals verstärkt und an den Computer übermittelt. Eine spezielle, lernfähige Software trennt dann sozusagen die Spreu vom Weizen und steuert mit der ausgelesenen Information den Cursor auf dem Bildschirm und das Anklicken eines Buchstabens. Getestet werden von den Berlinern noch verschiedene Buchstabiermethoden. "Eine Variante ist das Buchstabenhexameter, bei dem der Gedanke "rechts" einen Pfeil im Kreis bewegt und der Gedanke "links" den Buchstaben anklickt," erklärt die Pressesprecherin von FIRST. " Innerhalb von fünf bis zehn Minuten läßt sich so ein Satz schreiben." Von der Messung der Bewegungsintention bis zur Cursorbewegung gibt es einen Zeitverzug von ca. 600ms.
Signalfeuer als Herausforderung an das BBCI
Das Funktionsprinzip des Berliner BCI basiert auf der Erkenntnis, dass sich in der Hirnaktivität die rein gedankliche Vorstellung einer Verhaltensweise widerspiegelt, z.B. rechte oder linke Hand heben. Das Interface-System erkennt die korrelierenden Veränderungen der Signalzeichen und setzt sie in zwei alternative Handlungsweisen um. Der gewählte Ansatz der FIRST-Forscher macht es möglich, die Gehirnströme auch von Ungeübten zu sondieren. Das unterscheidet sie laut eigener Aussage von anderen BCI-Forschungsansätzen. Keine leichte Aufgabe bei dem "Signalfeuer", das im Computer ankommt, findet Projektleiter Professor Klaus-Robert Müller von FIRST. Er veranschaulicht die Problematik am Beispiel einer Cocktail-Party. Die Vielzahl der unterschiedlichen Party-Geräusche mache das Herausfiltern einer bestimmten Stimme, so die Erfahrung, schwierig. Die Robustheit des Systems ist daher auch ein wesentlicher Faktor beim Gelingen der Schreibübungen.
Zukunft: Kontaktfreie Messung mit neuen EEG-Sensoren
Zu den Problemen bei der Signalverarbeitung erklärte Blankertz gegenüber Doccheck: "Die menschlichen Gehirnsignale unterliegen vielen langsamen Schwankungen, z. B. durch die Änderung von Aufmerksamkeit oder durch Beanspruchung mentaler Resourcen. Diese Schwankungen können einen ungewollten Einfluss auf die BCI-Steuerung haben. Unser System ist aber inzwischen extrem robust gegen solcherlei störende Einflüsse." Das nächste Ziel der Berliner Forscher ist die Entwicklung neuer EEG-Sensoren, mit denen der Aufwand bei der Kopf-Präparation minimiert werden kann. "Dazu gibt es verschiedene Ansätze, z. B. mit kapazitiven Sensoren, die kontaktfrei messen können. Diese Technlogien stecken aber noch in der Grundlagenforschung und es ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich zu sagen, ob und wann sie einsatzreif sind." Das berührungsfreie EEG könnte dann einfach wie eine Mütze über den Kopf gezogen werden.