Die tägliche Insulinspritze könnte schon bald der Vergangenheit angehören: ein neuartiges Inselzellen-Züchtungesverfahren, bei dem Meeresalgen als biochemische Fabrik dienen, verspricht Patienten mit Diabetes-Typ-1 neue Therapien. Die neuartige Herstellungsmethode wendeten Wissenschaftlern der University of New South Wales (UNSW) im Prince of Wales Krankenhaus in Sydney erstmals an Patienten an - mit Erfolg.
Wie der Leiter der wissenschaftlichen Studie und Direktor des Diabetes Zentrums des Prince of Wales Krankenhauses der UNSW, Bernie Tuch, erklärt, könnte diese neue, einfache Behandlung nicht nur die tägliche Insulininjektion überflüssig machen. Auch die als schwierig geltende Transplantation einer intakten Bauchspeicheldrüse, die Mediziner als Alternative erachten, wäre überflüssig.
Beim neuartigen Verfahren isolieren die Wissenschaftler nämlich nur die so genannten "Inseln", die die Insulin-produzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse enthalten, aus einem Spender-Organ. Diese Zellen werden anschließend in aus Meeresalgen bestehende winzige Mikrokapseln verpackt. Der Clou: Die Mikrokapseln besitzen feinste Poren, die den Durchlass von Nährstoffen zu den Zellen ermöglichen - und auch den Durchtritt von Insulin aus den Kapseln zu den Zellen des Empfängers erlauben. Als besonders trickreich erweist sich eine besondere Eigenschaft der Algenkapseln. Ihre Poren sind so klein, dass die Immunzellen des Empfängers, die normalerweise alle körperfremden Insulin produzierenden Zellen zerstören würden, nicht hindurch passen. Daher bleiben auch Abstoßungsreaktionen aus - die Inselzellen sind in der Lage, das begehrte Hormon zu produzieren. Laut Tuch gab es bereits in der Vergangenheit Ansätze, bei denen Menschen Insulin produzierende Zellen transplantiert bekamen. Im Vergleich zur jetzt vorgestellten Methode waren die Zellen jedoch nicht in Mikrokapseln eingelagert. Die Folge: Die Patienten mussten über einen langen Zeitraum hinweg immunsupressive Medikamente einnehmen, um die Abstoßung der Zellen zu verhindern.
Jetzt sollen Mikroalgen-Transplantationen in weiteren australischen Bundesstaaten klären, ob die Methode auch langfristig funktioniert. Die an bislang sechs Patienten durchgeführte Studie wird durch private Spenden und durch die Australian Foundation for Diabetes Research finanziert. Laut Tuch befürwortet auch das South East Sydney/Illawarra Area Health Service Human Research Ethics Committee die Studien.
Neu, aber kein Einzelfall
Dass Mediziner auf die Implantierung Insulin produzierender Zellen setzen, ist bei der australischen Methode zwar von der Herangehensweise neu - aber bei weitem kein Einzelfall. Erst im Februar dieses Jahres verkündeten kanadische Wissenschaftler einen wichtigen Durchbruch: An der Universität von Alberta war es ihnen gelungen, Insulin produzierende Zellen vom Schwein in Affen zu transplantieren. Das im Fachblatt Nature Medicine publizierte Verfahren gilt als Sensation. Denn nach Ansicht der Wissenschaftler könnte es den Weg zur Xenotransplantation von Inselzellen auch beim Menschen ebnen.
Nicht minder innovativ erweisen sich deutsche Biotechnologen. So versuchen Forscher der in Göttingen angesiedelten Firma Develogen, Arzneimittel für die Regeneration Insulin-produzierender Beta-Zellen zu entwickeln. Das dazu initiierte Programm mit dem Titel "Entdeckung und Entwicklung von Arzneimitteln im Beta-Zell-Regenerationsprogramm zur Behandlung von Typ 1 Diabetes" hat beispielsweise zum Ziel, bereits identifizierte Wirkstoffkandidaten in die klinische Prüfung zu bringen. Zwei Ansätze stehen hierbei im Mittelpunkt. Der erste betrifft die Entwicklung so genannter kleiner Moleküle, welche Pax4, ein Schlüsselgen zur Bildung von Beta-Zellen, aktivieren. Der zweite Ansatz zielt auf die Identifizierung und Entwicklung sezernierender Faktoren, die während der embryonalen Entwicklung der Bauchspeicheldrüse eine Rolle spielen. Beide Ansätze haben zum Ziel, regenerative Prozesse zu stimulieren und zu unterstützen, die zur Bildung Insulin-produzierender Beta-Zellen im Körper führen. Tatsächlich unterstützen Forschungsergebnisse die Annahme, dass auf Grund von schwankendem Insulinbedarf fortlaufend neue Beta-Zellen im Menschen regeneriert werden. Die Entwicklung von regenerativen Arzneistoffen, welche die Beta-Zellen direkt beeinflussen, wird nach Ansicht vieler Fachleute eines Tages ebenfalls zu alternativen Therapien führen.
Für die australische Mikroalgen-Methode jedoch spricht im Erfolgsfall die Art der Anwendung in Praxisalltag: Eine einfache Spritze unter die Haut reicht im Idealfall aus, um die begehrte Fracht unbeschadet ans Ziel zu bringen - danach benötigt der Patient nie wieder eine Injektion.