Mit dem Einsatz von Hormonen als Anti-Aging-Maßnahme hat die Gynäkologie bekanntlich Schiffbruch erlitten. Ein präziser Blick auf die Gene soll die in Verruf geratene Strategie jetzt rehabilitieren. Das Problem: Die nötigen Studien will heute keiner mehr bezahlen.
Ein Blick auf die Statistik verrät den Erdrutsch, den die Diskussionen der letzten Jahre um die Hormontherapie bei Frauen nach der Menopause ausgelöst haben. Nachdem mehrere epidemiologische Großstudien übereinstimmend zu dem Ergebnis kamen, dass die pauschale Hormontherapie mit weiblichen Geschlechtshormonen nach der Menopause bestenfalls nichts bringt, schlimmstenfalls sogar schadet, brachen die Verordnungszahlen unter medialem Trommelfeuer auf breiter Front ein. Die AOK beispielsweise gibt an, dass die Verordnungen seit dem Jahr 2000 um mehr als die Hälfte auf zuletzt 469 Millionen Tagesdosierungen zurückgegangen sind. Ähnliches erfährt der Leser des Gesundheitsreports 2005 der Techniker Krankenkasse. Nur noch jede sechste Frau zwischen 45 und 65 nimmt demnach eine Hormonersatztherapie ein. Vor fünf Jahren war es noch mehr als jede dritte.
Ohne Bewegung ist alles nichts
"Es hat sich sehr viel geändert", sagt auch der Anti-Aging-Experte Dr. Michael Klentze vom Klentze-Institut für Anti-Aging-Medizin in München. Es gebe einige Verleugner, die die Resultate der Untersuchungen in Abrede stellten. Klentze kritisiert das: "Wir müssen diese Ergebnisse schon wahrnehmen". Die Mehrheit tut das auch, wie die Statistik beweist. Die Folge freilich ist Angst vor therapeutischen Maßnahmen, Angst, die diejenigen im Regen stehen lässt, die beim Arzt eigentlich Hilfe suchen. Für den Kardinalfehler der Zunft hält der Experte den viel zu pauschalen Einsatz der Hormontherapie in der Vergangenheit. Praktizierte Verordnungsrealität waren undifferenzierte Verschreibungen von Östrogenen für fünf Jahre oder mehr - mit den bekannten Folgen. Wie es in seinen Augen anders gehen könnte, erläuterte Klentze im Gespräch mit DocCheck anhand der Behandlung mit Wachstumshormonen, eine andere Variante des hormonellen Anti-Aging. Klentze setzt das Hormon zur Behandlung bei Fett- und Zuckerstoffwechselstörungen ein, und zwar zunächst für ein halbes Jahr. Von einer medikamentösen Monotherapie hält er nichts: "Unverzichtbar ist die Kombination mit Sport und mit einer Ernährungsumstellung". Wenn sich nach einem halben Jahr die Stoffwechselparameter normalisiert haben und das viszerale Fett weniger geworden ist, betrachtet er die Maßnahme als Erfolg. Bleibt das aus, wird die Therapie beendet. Mit ähnlichen Erfolgskontrollen arbeitet er auch bei der Androgentherapie, die vor allem bei einem Verlust von Männlichkeitsgefühl, bei Erektionsstörungen und Libidoproblemen zum Einsatz kommt. Hier seien allerdings schon mal ein bis zwei Jahre Behandlung nötig, bis der gewünschte Effekt eintrete.
Zeig mir deine Gene, und ich sag dir, was du brauchst
Erfolgskontrolle ist die eine Maßnahme. Für mindestens ebenso wichtig hält Klentze auf der anderen Seite die Risikominimierung, die er durch eine deutliche Ausweitung der genetischen Untersuchungen vor Beginn einer Hormontherapie erreichen möchte. Damit könnten jene Patienten erkannt werden, die durch eine Hormontherapie gefährdet werden. Umgekehrt könnte es auch gelingen, jene zu identifizieren, die besonders profitieren. Beispiel Wachstumshormon: Etwa 16 Prozent der Bevölkerung haben einen bestimmten Polymorphismus im Gen für den zellulären Wachstumsfaktor IGF1. "Verglichen mit der Normalbevölkerung haben diese Menschen ein zwanzigfach erhöhtes Herzinfarktrisiko", so Klentze. Sie wären damit besonders geeignete Kandidaten für eine kardiovaskuläre Anti-Aging-Therapie. Bei der Androgentherapie können ähnliche Untersuchungen mit umgekehrten Vorzeichen helfen. Durch Untersuchung eines ganzen Clusters von Genen, darunter Gene für den Androgenrezeptor und für einige Enzyme des Steroidstoffwechsels, lassen sich Risikopatienten für die Entwicklung eines Prostatakarzinoms erkennen. Eine zusätzliche Eiweißuntersuchung des Urins mit den Methoden Proteomanalyse kann weitere Indizien liefern. "In diesen Fällen sollte dann auf eine Androgenbehandlung verzichtet werden", betont Klentze. Billiger machen diese Untersuchungen eine Hormonbehandlung freilich nicht. Etwa 250 Euro müssten für eine ausführliche Prostatadiagnostik auf den Tisch gelegt werden. Etwa achtzig sind es für den IGF1-Test. Die Kosten relativieren sich allerdings etwas vor dem Hintergrund der Kosten für die Hormone. Die schlagen beim Wachstumshormon mit etwa 200 Euro pro Monat zu Buche, natürlich keine Kassenleistung...
Hormon-Anti-Aging mit Schönheitsfehler
Skeptiker werden jetzt einwenden, die ganze Gendiagnostik sei ja nichts weiter als ein Versuch, die in Misskredit gekommene Hormontherapie durch die Hintertür zu rehabilitieren. Ganz von der Hand zu weisen ist das nicht, denn einen deutlichen Schönheitsfehler hat das ganze Konzept. Die Schlussfolgerungen basieren einerseits auf physiologischen Untersuchungen und Überlegungen, andererseits auf Assoziationsstudien, die rein statistische Aussagen über genetische Risikokonstellationen machen. Mit anderen Worten: Randomisierte, kontrollierte Doppelblindstudien mit Hormonen in Abhängigkeit vom individuellen genetischen Make-up sind Fehlanzeige. "Die wird auch niemand mehr machen", ist sich Klentze sicher. Und damitsteht das Hormon-Anti-Aging vor einem bisher ungelösten Problem.