Deutschlands Medizinbetrieb befindet sich im Ausnahmezustand. Gepackt durch ein "Jetzt oder nie" und das Bewusstsein um anstehende politische Veränderungen gehen die Ärzte aus Krankenhäusern und Praxen auf die Barrikaden.
Seit dem 20. März werden die Unikliniken bestreikt. Dem Streik ging eine Urabstimmung voraus, in der eine überwältigende Mehrheit der Ärzte mit einem "Ja" zum Streik stimmte. Damit hat der Marburger Bund seine Ernsthaftigkeit endgültig unter Beweis gestellt und nach dem Scheitern der Verhandlungen am 9. März der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) den Kampf angesagt.
Streik, wohin das Auge schaut
Die Forderungen nach mehr Gehalt, Verbesserung der Arbeitsbedingungen und einem eigenen Tarifvertrag für Ärzte sind keine große Neuigkeit, jedoch geht die Tarifgemeinschaft bisher wenig bis gar nicht auf diese Forderungen ein. So muss der Konflikt in einem archaisch anmutenden Arbeitskampf ausgefochten werden. Bizarr mag es da anmuten, dass die meisten streikenden in Wirklichkeit lieber arbeiten wollen, nur lässt man sie dies nicht zu akzeptablen Bedingungen tun.
Beim Thema Arbeiten lohnt sich auch ein Blick auf die Situation in den kommunalen Krankenhäusern. Dort wird zwar noch verhandelt, die zweite Verhandlungsrunde blieb jedoch ebenfalls erfolglos; sollte es nicht zu einer unerwarteten Wende kommen, scheint ein Streik kaum abwendbar.
In dieser Stimmung aus Frust und Kampfeslust wundert es nicht, dass auch die niedergelassenen Mediziner zum Protest aufbrechen. Am 24. März blieb bundesweit ein Großteil der Arztpraxen aus Protest verschlossen. "30.000 Mediziner setzen die Regierung unter Druck", titelte SPIEGEL Online prompt und brachte es auf den Punkt.
Großkundgebungen stinkig, aber stets friedlich
Auch die Klinikärzte versammelten sich in der Streikwoche zu Großkundgebungen, unter anderem in Mainz und Hannover. Der Ton war dabei stets scharf, die Stimmung durch die ungewisse Zukunft bedrückt. "Vögel haben die Grippe, Schweine die Pest und Ärzte haben Ulla Schmidt", hieß es auf einem der vielen Plakate. Eine weitere, in ärztlicher Kritik stehende Person der Streiktage ist Hartmut Möllring, der Vorsitzende der TdL ("Hartmut, wo ist unser Geld").
Dass die Sprüche nicht nett sind, wissen alle Beteiligten, dass sie aber ein notwendiges Übel sind, wissen alle noch viel besser. In den nächsten Monaten stehen in der Gesundheitspolitik wichtige Entscheidungen an. Jetzige Entscheidungen werden die Rahmenbedingungen für die nächsten Jahre setzen. Daher ist die Einstellung "Jetzt oder nie" der streikenden Ärzteschaft goldrichtig. Wenn Kanzlerin Merkel mit Gesundheitsministerin Schmidt das Vier-Augen-Gespräch sucht wird es sicherlich nicht nur um schicke neue Kurzhaarfrisuren gehen.
Mahnend und aufschreiend über den Reformbemühungen wachende Ärzte, die ihr gutes Recht einfordern, können die Entscheidungsfreudigkeit fördern. Den Ärztestreiks ist nicht nur die Bedeutung eines einfachen Arbeitskampfes beizumessen. Vielmehr vertreten die Ärzte, indem sie der politischen Diskussion nicht den Rücken zuwenden, auch die Interessen ihrer Patienten.
Wenn Ärzte sich mit Gesundheitsökonomie und Bürokratie herumschlagen müssen, so können Politiker sich zumindest mit den Ärzten und ihren Forderungen befassen, damit wir auch in naher und ferner Zukunft alle so gesund bleiben, wie es nur geht.