Eine gemeinsam von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung präsentierte Studie sagt für die nächsten zehn Jahre einen drastischen Abfall der Arztzahlen voraus. Langjährig bewährte Mediziner gehen in den Ruhestand, während aus den Reihen deutscher Universitäten zu wenig junge Ärzte nachrücken.
Die Anzahl der über 50-jährigen Ärzte steigt unweigerlich, während die Zahl der unter 35-jährigen Ärzte ebenso unweigerlich abnimmt. Die entsprechenden Zahlen der Bundesärztekammer sprechen eine deutliche Sprache.
Folglich droht der deutschen Ärzteschaft ein ähnliches Schicksal wie dem deutschen Rentensystem mit dem demographischen Wandel. Die Bevölkerungspyramide stellt sich auf den Kopf. Bis 2015 sollen knapp 75.000 Ärzte aus dem aktiven Berufsleben scheiden. Demgegenüber ist es zumindest fraglich, ob genug Ärzte aus Deutschlands medizinischen Fakultäten nachrücken.
Während das Interesse am Medizinstudium zurzeit ähnlich hoch ist, wie zu Anfang der 80er, ist in den letzten Jahren ein zunehmender Anteil von Studenten zu verzeichnen, welche das Studium abbrechen oder nach dem Examen nicht in den Arztkittel schlüpfen. Logische Folge ist, dass immer mehr Ärzte aus dem Ausland das ärztliche Personaldefizit Deutschlands ausfüllen müssen. Insbesondere die Anzahl der in Deutschland beschäftigten Ärzte aus osteuropäischen Staaten hat sich zwischen 1998 und 2004 fast verdoppelt.
Warum der Griff zum Stethoskop schwer fällt
Absolventen des Studienfaches Medizin stehen vor einem Dilemma. Eigentlich wollen die meisten Mediziner in der Patientenversorgung tätig werden und das in langen Jahren Erlernte am Menschen gewinnbringend umsetzen. Doch zeigt die ärztliche Berufswelt dem Studenten schon im Studium seine hässliche Fratze. Verglichen mit Medizinern in nichtkurativen Tätigkeiten haben praktizierende Ärzte ein denkbar schlechtes Los.
Mit einem Teil der Arbeitszeit und Mühe des Arztberufes lässt sich beispielsweise in der pharmazeutischen Industrie, der IT-Branche oder als Journalist das gleiche Geld verdienen - ohne tagelange Dienste, mit flexiblen und dennoch geregelten Arbeitszeiten und zu hervorragenden Arbeitsbedingungen. Nicht zuletzt zeigt die immer größer werdende Zahl von im Ausland als Arzt tätigen Medizinern, dass Arztsein sich durchaus lohnen kann. 12.000 deutsche Ärzte im Ausland werden sicher ihre Gründe haben, nicht nach Deutschland zurückzukehren.
Unter dem Strich bleibt die ernüchternde Wahrheit, dass jährlich etwa 800 Nachrücker fehlen werden. Ob die Abschaffung des AiP diesem Trend entscheidend gegensteuern kann, darf bezweifelt werden. Ärztekammer und KBV fordern daher politische Maßnahmen.
Wege aus der Misere
Damit sich der Bedarf an Ärzten nicht nur durch Einwanderung von ausländischen Ärzten decken lässt, muss nach Meinung der Ärztekammer der Arztberuf organisatorisch und finanziell attraktiver gestaltet werden. Die Anreize zur Niederlassung sollten nicht durch Budget-Deckelung und bürokratische Überregulierung geschmälert werden. Von der Politik häufig beschworene Modelle, die beispielsweise die Niederlassung von Allgemeinmedizinern im Osten Deutschlands mit Prämien fördern bestehen bereits, zeigen aber kaum die erhoffte Wirkung.
Um die Einstellung zum Arztberuf nachhaltig zu verbessern, können bereits im Studium Maßnahmen ergriffen werden. So schlägt die Bundesärztekammer ein weitaus praxisnäheres Studium vor, dass die Neugier für den Umgang mit Menschen wecken und erhalten kann.
Eine weitere ungenutzte Ressource sehen die Initiatoren der Arztzahlstudie in den fertig ausgebildeten, aber in andere Berufe abgewanderten Medizinern, insbesondere bei den Medizinerinnen. So ließen sich durch die Möglichkeit der Teilzeitbeschäftigung von Ärzt(inn)en in Arztpraxen etwa 35.000 ärztlich Untätige mobilisieren.
Versöhnlich stimmt es bei all den düsteren Prophezeiungen, dass die Politik die Probleme zunehmend ernst nimmt oder auch ernst nehmen muss. Jüngst sprach der Gesundheitsminister Thüringens im Hörsaal vor Medizinstudenten über Ursachen für und Auswege aus dem Ärztemangel. Die weise Voraussicht auf den unverkennbar drohenden Versorgungsmangel scheint langsam in politische Kreativität zu münden.
Wer die Verantwortung für die Versorgung kranker Menschen übernehmen soll, der muss dies auch aus Überzeugung tun. Wenn fertig ausgebildete Mediziner den Arztberuf verweigern braucht es keine Wasserwaage um den Schiefstand zu bemerken. Politik und Selbstverwaltung stehen nun in der Verantwortung und müssen zusammen den schiefen Bau begradigen.