Aus neurobiologischer Sicht schaden sich Apotheker mit ruinösen Rabatten. Experimente zeigen, dass Wohlfühlpreise teilweise deutlich höher liegen als erwartet. Statt auf Biegen und Brechen Produkte zu verbilligen, plädieren sie deshalb für eine strategische Preisgestaltung.
„Experimente aus dem Lebensmittelsektor zeigen, dass die Zahlungsbereitschaft von Kunden deutlich größer ist als von vielen Firmen angenommen“, sagt Dr. Kai-Markus Müller. Er ist CEO der Neuromarketing Labs in Aspach. Seine Resultate lassen sich eins zu eins auf Freiwahlartikel, OTCs oder – sollte die Preisbindung fallen – auf Rx-Präparate übertragen.
„Beim Neuropricing untersuchen wir mit EEG-Hirnscans und Reaktionszeiten die Wertwahrnehmung anders als in der klassischen Marktforschung unverzerrt“, sagt Müller. Im Labor zeigte er Probanden eine kleine Tasse Starbucks-Kaffee und verschiedene Preise. Unmittelbar danach erschien das Wort „günstig“ oder „teuer“. Studienteilnehmer mussten per Tastendruck signalisieren, ob sie zustimmen oder nicht. Gleichzeitig leitete Müller ein EEG ab. „Wir konnten damit die Reaktion des Gehirns auf den Preis und auf die Attribute teuer und günstig erheben“, erklärt der Experte. © Müller / The Neuromarketing Labs Das Ergebnis überrascht: Aus neurobiologischer Sicht waren 2,40 Euro angemessen. Höhere, aber auch niedrigere Preise führten zu Gefühlen wie Schock, Zweifel oder Erstaunen. Unterbieten sich Kaffeeketten – oder eben Apotheken – im Preis, führt das nicht zum gewünschten Ziel. „Im Rx-Bereich könnten wir zum Beispiel auch untersuchen, bis zu welchem Betrag Ärzte ein Präparat verschreiben würden“, berichtet Müller.
Zuzahlungen lassen sich ebenfalls über Strategien des Neuropricings untersuchen. Der Experte berichtet von einer amerikanischen Studie mit 31 ADHS-Patienten. „Wir haben ihnen ein Präparat auf dem Bildschirm gezeigt und laiengerecht Details inklusive aller Vor-und Nachteile erklärt“, so Müller. Anschließend erschienen verschieden hohe Zuzahlungen auf dem Monitor. Überraschenderweise kristallisierten sich zwei Subgruppen heraus. Manche Teilnehmer waren damit einverstanden, 30 bis 40 Dollar aus der eigenen Tasche beizusteuern. Dann ging die Bereitschaft rapide nach unten. Schließlich gab es Personen, die sogar 75 US-Dollar auf den HV-Tisch gelegt hätten. Die klassische Marktforschung lag genau mit rund 50 Dollar dazwischen. Müller: „Hirnscans liefern unverfälschte Ergebnisse – so kommt man der echten Wertwahrnehmung auf die Schliche.“ © Müller / The Neuromarketing Labs Zuzahlungen sind in Deutschland zwar gesetzlich festgelegt. Allerdings gibt es eine Präparategruppe, auf die sich Müllers Erkenntnisse übertragen lassen: verschreibungspflichtige Medikamente, die keine Kassenleistung sind. Hier wollte ein pharmazeutischer Unternehmer wissen, wie viele Patienten bereit wären, das Arzneimittel für einen bestimmten Preis zu erwerben. Im Neurolabor wurden sechs verschiedene Preispunkte simuliert. „Anschließend modellieren wir mathematisch, wie sich der Markt verhalten würde“, erklärt der Wissenschaftler. Auf dieser Basis erhalten Hersteller Richtwerte für den optimalen Umsatz, die optimale Wertwahrnehmung oder den profitoptimalen Preis.
Hier geht es nicht nur um betriebswirtschaftliche Argumente, sondern auch um die Wirkung selbst. „Mit dem Preis geht auch der Placeboeffekt nach oben“, berichtet Müller. Bei einer Untersuchung erhielten Probanden vermeintlich unterschiedliche Analgetika. Tatsächlich handelte es sich um wirkstofffreie Tabletten. Die Studienleiter erklären manchen Probanden, es handele sich um preisgünstige Generika für zehn Cent oder teure Originalpräparate für 2,50 Euro. Über leichte Stromstöße stellten Forscher fest, dass die Schmerzwirkung beim angeblich hochpreisigen Arzneimittel deutlich geringer war. Auch dieser Effekt spielt bei Empfehlungen in der Apotheke eine wichtige Rolle. Es kann sich lohnen, Markenpräparate in den Vordergrund zu stellen.
Kai-Markus Müllers Fazit: „Apotheker sollten nicht über den Preis werben. Ansonsten erziehen sie ihre Kunden zu Schnäppchenjägern und macht sich selbst das Geschäft kaputt.“ Das hätten sowohl Praktiker als auch Schlecker am eigenen Leibe erfahren. „Besser ist, mit Qualität und Beratung zu punkten.“ Dass Kunden allzu genau Bescheid wissen, bezweifelt er: „Natürlich kennt ein Apotheker alle Preise von OTCs, gerade auch von der Online-Konkurrenz. Aber ein Großteil der Kunden hat dieses Wissen eben nicht. Erfolgreiche Kampagnen, die empirisch zum Kaufwunsch geführt haben, arbeiten vor allem mit der positiven Beeinflussung. Diese Strategie eignet sich auf für das Marketing öffentlicher Apotheken.“