Das Werk gehört seit nunmehr fünf Jahren zur Pflichtlektüre der Gesundheitsbranche: der vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen herausgegebene GEK-Arzneimittel-Report analysiert anhand von rund 10 Mio. Rezepten die ärztliche Verschreibungspraxis. Erst der genaue Blick ins Eingemachte zeigt: Vieles wird falsch verordnet, aber auch Patienten tragen zur Verwirrung bei.
Was den GEK-Arzenimittel-Report auszeichnet, ist seine Herangehensweise. Denn im Fokus des 350-Seiten starken Papiers steht der so genannte klinisch-epidemiologische Ansatz. Darin werden Patientendaten - immerhin mehr als 1,4 Millionen Versicherte der GKV - anonym ausgewertet. Auf diese Weise kommt es zu einer in Deutschland einzigartigen Datenverknüpfung zwischen Medikament, Diagnose und Behandlungserfolg. Während sich viele andere Statistiken lediglich als dröge Auflistung der verkauften Präparate entpuppen, schafft der GEK-Arzneimittelreport einen kausalen Zusammenhang: Ursache und Wirkung lassen sich anhand der Informationen direkt vergleichen. Erstaunlichstes Ergebnis: Während ein Teil der Ärzte ohne wirtschaftliche Weitsicht das verschreibt, was am meisten beworben wird, denken mittlerweile viele andere Doktoren rein ökonomisch - und handeln dadurch ganz im Sinne ihrer Patienten.
Der Old Doc - verordnen, was die Werbung anpreist
Noch aber scheinen auch die wenig sinnvollen Verschreibungsabläufe beliebt. So stiegen bei den umsatzstarken Arzneimitteln im Beobachtungszeitraum 2004 die Ausgaben für Rheumamittel um 52,3 Prozent deutlich an - obwohl sich die verschriebene Menge nur um 6,2 Prozent erhöhte. "Dies zeigt, wie relativ teuer in diesem Bereich verordnet wurde", kommentieren die Autoren die offensichtliche Diskrepanz. Den Autoren zufolge liegt die exemplarisch aufgezeigte Ausgabensteigerung vor allem "an den steigenden Verordnungszahlen für die Gruppe der Coxibe, die mit erheblichem Marketingdruck und sehr breiten Indikationsversprechen vermarktet wurden".
Während niemand am Sinn von innovativen Präparaten zweifelt, scheint die im Report aufgeführte Frage nach der Risikobewertung angebracht. Das Jahr 2004 und die Rücknahme von Vioxx hätten gezeigt, dass die neuen Mittel keineswegs problemlos angewendet werden konnten. Tatsächlich wurde auch zu Beginn des Jahres 2005 mit Bextra ein weiteres Präparat dieser Kategorie vom Markt genommen, weil es vereinzelt besonders schwerwiegende Hautreaktionen auszulösen schien. "Der Rheumamittelmarkt ist daher ein gutes Beispiel dafür, dass es sinnvoll ist, bei neuen Arzneimitteln erst langsam umfangreiche Erfahrungen zu sammeln, bevor solche sog. Innovationen breit und vielleicht auch etwas leichtfertig allzu vielen Patientinnen und Patienten verordnet werden", resümieren daher die Autoren der Studie.
Als besonders spannend erweist sich beim Blick in den Report die Tatsache, dass ein deutliches Ungleichgewicht zwischen den Ausgaben- und den Verordnungsmengensteigerungen besteht: So stehen Ausgabensteigerungen von 25 Prozent bei den Antibiotika Mengensteigerungen von nur 2,1 Prozent gegenüber. Die Ausgaben für Rheumamittel explodierten gar um 59 Prozent - doch nur 6 Prozent mehr Präparate gingen über den Tresen. Gichtmittel wiederum belasteten die Kassen um 67 Prozent mehr als noch ein Jahr zuvor - obwohl die Verordnungsmengen um 3,3 Prozent sanken. Nahezu wie ein Sketch liest sich die Statistik für Augenmittel: Hier kletterten die Ausgaben um 18,1 Prozent, während die Verordnungsmengen um 40,4 einbrachen. Warum das so kam, versucht der Report zu erklären: "Dies alles sind Beispiele für deutlich teurer werdende Verordnungen - zurück zuführen auf die sog. Strukturkomponente, die besagt, dass zumeist unnötig teure Arzneimittel statt bewährter und kostengünstiger Alternativen verordnet werden".
Der New Doc - wirtschaftlich im Dienste des Patienten
Das Papier zeigt indes auch, dass viele Ärzte mittlerweile wirtschaftlich denken - ohne die Therapie für ihre Patienten zu gefährden. Als Indiz für diese erfreuliche Entwicklung dient ein neu zu beobachtender Trend: Höhere Verordnungsmengen zu günstigeren Preisen. So fielen die Ausgaben für Lipid-senkende Mittel um 18,6 Prozent, während die Menge der verschriebenen Präparate um 19,4 Prozent anstieg. Ähnliche Verhältnisse herrschen auch bei Medikamenten mit Wirkung auf das Renin-Angiotensin-System, etwa ACE Hemmer. In dieser Gruppe fielen die Ausgaben um 11,2 Prozent, während die Verordnungsmengen um 8,9 Prozent nach oben schnellten.
Dass Ärzte durch die richtige Verordnung dem Wohl aller Patienten dienen können, belegt eindrucksvoll ein anderes Beispiel im Report: "Alleine unter den 50 umsatzstärksten Ausgaben stehen sechs Arzneimittel, die allesamt durch kostengünstigere Generika ausgetauscht werden könnten", heißt es dazu im Papier und: "ein Qualitätsverlust wäre dabei nicht zu erwarten". Immerhin 20 Prozent der Ausgaben ließen sich auf diese Weise durch eine intelligente Substitution einsparen. Entgegen der landläufigen Meinung bliebe das Geld aber im großen Kreislauf der Arzneimitteltherapien - und würde an anderer Stelle sinnvoller eingesetzt.
Der Report bringt es auf den Punkt: "Eine Forderung, die sich an die Ärztinnen und Ärzte richtet, ist daher, möglichst dort, wo kostengünstige Generika angeboten werden, auch diese Alternativen zu nutzen, damit dort, wo neue und teure Innovationen notwendig sind, auch finanzieller Spielraum für diese Arzneimittel wie Interferone bei MS oder Hepatitis C, Krebs oder HIV / AIDS bleibt".