Mit einer Kombination aus Gentherapie und einem genetischen Maulkorb für rote Blutkörperchen wollen Ärzte aus New York der Sichelzellanämie zu Leibe rücken. Die Doppelstrategie gibt neue Hoffnung für Menschen mit einer (fast) unheilbaren Erkrankung. Sie ist aber auch eine mögliche neue Waffe gegen den Krebs.
Die Sichelzellanämie ist eine Erkrankung, der viele Ärzte im Medizinstudium relativ intensiv begegnen und später nur noch selten. Sie galt lange als Problem des afrikanischen Kontinents, allenfalls noch des südlichen mediterranen Raums. In einer globalisierten Welt mit zunehmender Migration gewinnt das Thema aber auch in Deutschland an Bedeutung.
Für den Betroffenen ist die Sichelzellanämie eine Katastrophe
Patienten mit Sichelzellanämie haben eine genetische Besonderheit in jenem Teil des Erbguts, das für den Sauerstoffträger Hämoglobin codiert. Dieser Gendefekt führt dazu, dass das Hämoglobin bei Sauerstoffmangel deformiert wird, was die Erythrozyten in eine auch mikroskopisch sichtbare Sichelform zwingt. Die Sichelzellen können, wenn sie zahlreich sind, den Blutfluss beeinträchtigen. Klinisch entwickeln sich die Symptome einer Anämie. Es kommt außerdem zu massiven Schmerzen sowie zu Organschäden bis hin zu Schlaganfällen. Je nach Ausprägung der Erkrankung müssen die Betroffenen körperliche Belastungen, die mit einem erhöhten Sauerstoffverbrauch einher gehen, meiden. Sie dürfen außerdem nicht ins Hochgebirge, unter Umständen auch nicht ins Flugzeug. Außerdem sind sie oft wenig belastbar. "Eine Heilung der Erkrankung ist nur möglich, wenn gesunde, blutbildende Stammzellen transplantiert werden", sagt Michel Sadelain vom Memorial Sloan-Kettering Krebszentrum in New York. Das aber ist wie bei anderen hämatologischen Gendefekten nur dann eine Option, wenn ein passender (Familien-)Spender zur Hand ist. Das Verfahren ist außerdem für den Betroffenen nicht ganz risikolos. Sadelains Arbeitsgruppe experimentiert deswegen mit einer etwas anderen Strategie. Das Ziel: Ein Stammzellspender soll überflüssig werden. Stattdessen wollen die Wissenschaftler die eigenen Blutstammzellen der Sichelzellkranken so modifizieren, dass sie wieder einwandfrei funktionieren.
Doppelt gemoppelt wirkt besser
Bei der Sichelzellanämie ist das schwierig. Denn zum einen muss funktionierendes Hämoglobin her, um eine adäquate Sauerstofftransportkapazität des Bluts zu gewährleisten. Zum anderen muss das Sichelzellhämoglobin ausgeschaltet werden, um zu verhindern, dass jene Gefäßkomplikationen auftreten, die Organe wie die Muskulatur oder das Gehirn gefährden. Der Trick, den Sadelains Arbeitsgruppe jetzt bei Blutstammzellen von Sichelzellpatienten erfolgreich angewandt hat, besteht in einem therapeutischen Doppelschlag. Einerseits werden die den Patienten entnommenen Stammzellen mittels "herkömmlicher" Gentherapie außerhalb des Körpers mit dem Gen für ein normal funktionsfähiges Globin ausgestattet. Dazu setzen die Wissenschaftler Lentiviren als Genfähren ein, jene Viren also, die als besonders sicher gelten. "Wenn wir mit Gentransfer arbeiten, dann umgehen wir das Spenderproblem. Denn zur Behandlung werden die patienteneigenen Stammzellen eingesetzt", so Sadelain. Um zusätzlich zu verhindern, dass sich bei Sauerstoffmangel die fatalen Sichelzellen bilden, enthält das Globin-Gen außerdem die Informationen für die Produktion von kleinen RNA-Molekülen, so genannten "small interfering RNA-molecules" (siRNA). Wie der Name bereits andeutet, sind diese Mini-Nukleinsäuren in der Lage, mit der Produktion des Sichelzellhämoglobins zu "interferieren". Soll heißen: Die entsprechenden genetischen Kommandos werden von der siRNA "gelöscht". Die Produktion von Sichelzellhämoglobin wird verhindert.
Zweiter Frühling für ein heikles Therapieverfahren
"Unsere Experimente haben die Hypothese bewiesen, dass es möglich ist, mittels Genmodifikation bei einer defekten Zelle gleichzeitig eine Funktion hinzuzufügen und eine andere zu eliminieren", unterstreicht Selda Samakoglu, die Erstautorin der Veröffentlichung in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Nature Biotechnology. Damit werde der Weg frei für einen Einsatz bei anderen Erkrankungen. Weil die Arbeitsgruppe von Samakoglu und Sadelain am vielleicht wichtigsten Krebsforschungszentrum der Welt angesiedelt ist, denken die Wissenschaftler natürlich in erster Linie an maligne Erkrankungen. Aber auch Stammzelltherapien aller Art lassen sich prinzipiell durch den kombinierten Einsatz von Gentherapie und RNA-Interferenz molekular veredeln. Insbesondere werden einige klassische Schwierigkeiten des hinsichtlich seiner Verträglichkeit als heikel geltenden RNA-Interferenz-Verfahrens durch die Gentherapie außerhalb des Körpers vermieden. So sind viele systemische siRNA-Behandlungen relativ unspezifisch, was gerade in der Onkologie bereits zu Studienabbrüchen geführt hat. Die siRNA wirkt auch in Geweben, in denen sie nicht wirken soll und induziert eine unter Umständen nicht gewünschte Produktion von Interferonen. All das kann vermieden werden, wenn die RNA-Stränge von vornherein nur in jene Zellen eingebaut werden, in denen sie später auch aktiv sein sollen.