Schon gewusst? Seit Jahresanfang dürfen Sie mit Ihrem Arztausweis keine rezeptpflichtigen Medikamente mehr erwerben. Ist wirklich so. Der Grund ist ein Formfehler in der Gesetzgebung, den unterbeschäftigte Prinzipienreiter des Justizministeriums ausfindig gemacht haben. Jetzt soll der Paragraphendefekt verarztet werden. Eine Polit-Groteske.
Alles in allem ist die Apotheke der einzige Ort, an dem der von den Ärztekammern ausgegebene Arztausweis aus Pappe zu irgendetwas nützlich ist. Nützlich ist? Nützlich war, muss es jetzt besser heißen, denn der Arzneimittelerwerb per Arztausweis ist seit Neuestem illegal. Rein rechtlich müssen Ärzte sich derzeit selbst ein Privatrezept ausschreiben, wenn sie ein verschreibungspflichtiges Präparat in der Apotheke erwerben wollen.
Ein unschuldiger Satz ging in den Mühlen der Bürokratie verlustig.
Wer bisher als approbierter Arzt ein verschreibungspflichtiges Präparat brauchte, der ging in die Apotheke und holte es sich dort, sofern er nicht die eigenen Praxisvorräte oder jene des Arbeitgebers plünderte. Wer privat versichert ist, bekommt das Geld gegen Privatrezept von seiner Versicherung wieder. Allen anderen reichte bisher ihr Arztausweis. Ein Rezept war nicht erforderlich. Maximal war die Vorlage eines Personalausweises fällig. Beliebt war diese Art des ärztlichen "Apotheken-Shoppings" zum einen im Urlaub. Aber auch zuhause nutzten vor allem Klinikärzte, die nicht in den eigenen Stationsschrank greifen wollen, zunehmend häufiger den kurzen Weg zur Pille. Denn dank Praxisgebühr lohnt sich der Besuch des Kollegen zumindest für das gelegentlich nötige Antibiotikum finanziell gesehen nicht mehr wirklich. Vor allem aber gehören jene immer zahlreicher werdenden Ärzte, die in nicht-ärztlichen Berufen tätig sind, zu den Stammkunden der Apothekerschaft, auch sie seit der Praxisgebühr mehr denn je. Das alles wurde jetzt durch den Federstrich eines übereifrigen Beamten des Bundesjustizministeriums abgeschafft. Zumindest ist das die Version, die das Bundesgesundheitsministerium verbreitet, um bei der ganzen Geschichte selbst nicht so unglücklich dazustehen. Wie konnte es dazu kommen? Um es vorneweg zu sagen: Alle Spekulationen, es könnte sich um eine heimlich angezettelte Maßnahme zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit handeln, laufen komplett ins Leere. Auch als finale Provokation für die vom Ausfüllen tausender Formulare ohnehin schon mürbe Ärzteschaft ist die Sache nicht gedacht gewesen. Tatsächlich handelt es sich um eine Beschäftigungstherapie von Bürokraten für Bürokraten.
Uns Apotheken-Shoppern fehlt seit Jahrzehnten die "gesetzliche Grundlage"
Aber der Reihe nach. Dass verschreibungspflichtige Medikamente nur gegen Rezept vom Apotheker herausgegeben werden dürfen, ist schon seit Langem im Paragraphen 1 der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) geregelt. Dort heißt es, dass jene Arzneimittel, die in einem Anhang dieser Verordnung einzeln aufgeführt sind, prinzipiell nur gegen Rezept abzugeben sind. Dieses pauschale Verdikt wurde bisher im Paragraphen 4 derselben Verordnung eingeschränkt, und zwar eben für jene, die mit einem Arztausweis in der Apotheke auflaufen:
"Verschreibungspflichtige Arzneimittel dürfen ohne Vorliegen einer Verschreibung an Ärzte, Zahnärzte oder Tierärzte oder in dringenden Fällen nach fernmündlicher Unterrichtung durch einen Arzt, Zahnarzt oder Tierarzt auch an andere Personen abgegeben werden, wenn sich der Apotheker Gewissheit über die Person des Arztes, Zahnarztes oder Tierarztes verschafft hat."
Diesen Satz nun, der seit Jahren als völlig ausreichend angesehen wurde, um die Abgabe von verschreibungspflichtigen Medikamenten ohne Rezept an approbierte Ärzte rechtlich abzusichern, hat sich das Bundesjustizministerium jetzt etwas genauer angesehen. Im Rahmen der zum 1. Januar 2006 in Kraft getretenen Novelle der AMVV wurde er ersatzlos gestrichen. Bekrittelt wurde nach Auskunft von Andreas Deffner vom Bundesgesundheitsministerium, dass dem Satz die rechtlichte Grundlage fehle. Die nämlich müsse zunächst einmal im Arzneimittelgesetz geschaffen werden, bevor ein derartig weitreichender Passus in einer Verordnung auftauchen dürfe, so die Argumentation. Schwupps. Draußen war der Satz.
Natürlich wird eifrig weiter gearbeitet.
So bleiben soll es wohl nicht. Es wird jetzt geprüft, wie sich das Arzneimittelgesetz entsprechend modifizieren lässt, damit der Satz in einer der nächsten Novellen der Arzneimittelverschreibungsverordnung wieder auferstehen kann. Gut so. Damit werden Arbeitsplätze im Ministerium gesichert und die Rentenkasse aufgefüllt. Uns allerdings wird bis dahin nichts anderes übrig bleiben, als uns selbst Privatrezepte auszustellen, wenn wir unser Amoxicillin einfordern wollen. Für alle, die das nicht jeden Tag machen, hat die Landesärztekammer Thüringen jetzt noch einmal bekannt gegeben, wie das genau geht...