Der letzte Schrei auf dem Diagnostika-Markt sind Atemtests. Egal ob Vollrausch nach der Weihnachtsfeier, Mageninfektion mit Helicobacter oder Lungenkrebs: Schon ein sanfter Atemhauch genügt, um vieles über seinen Patienten zu erfahren. Selbst Terroristen will man mit den neuen, schnuppernden Diagnosegeräten in Zukunft das Handwerk legen. Raten uns die Datenschützer bald: Mund zu!?
"Bitte pusten!" - Kaum ein Satz kann für erwachsene Menschen unangenehmer werden, insbesondere dann, wenn er nachts auf einer Umgehungsstraße verbalisiert wird und direkt aus dem Mund eines Uniformierten kommt. Dabei ist der Schnelltest auf Alkohol nur der bekannteste einer stetig wachsenden Zahl von Atemtests. Ihr Einsatzgebiet ist nicht in erster Linie die Bundesstraße, sondern die Arztpraxis oder die Krankenhausambulanz. Atemtests tun nicht weh. Sie liefern rasche Ergebnisse und sind in praktisch jeder Situation verwendbar. Kurz: Sie können alles, was der Diagnostiker sich wünscht.
Ein kleiner Sensor schlägt großer Wellen
Die Messprinzipien, die bei Atemtests zum Einsatz kommen, sind sehr unterschiedlich. Polizeigeräte wie der AlcoQuant der Firma EnviteC arbeiten mit elektrochemischen Ethanolsensoren. Der beliebte Helicobacter-Atemtest, bei dem nach erfolgloser Eradikationsbehandlung 13C-markierter Harnstoff beziehungsweise das daraus resultierende Kohlendioxid nachgewiesen werden kann, erfolgt in der Regel spektroskopisch. Auch Atemtests auf Basis der Gaschromatographie sind im Einsatz. Die beiden letztgenannten Prinzipien nutzt auch ein Test, der in den USA derzeit für Furore sorgt, weil der Hersteller unter anderem gegenüber der New York Times werbewirksam geäußert hat, er könne damit auch Terroristen überführen.
Worum geht es? Stein des Anstoßes ist ein kommerzieller Atemtest der Firma Menssana Research. Er wird derzeit unter dem Namen Heartsbreath vertrieben, also "Herzatem". Die Namensgebung hängt damit zusammen, dass Heartsbreath von der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA im Jahr 2004 für die Frühdiagnostik von Patienten zugelassen wurde, die nach einer Herztransplantation eine Abstoßungsreaktion entwickeln. Die Zulassung erfolgte im Rahmen des Humanitarian Device Exemption Programms. Für eine FDA-Zulassung im HDE-Programm muss die medizinische Effektivität des zugelassenen Geräts nicht nachgewiesen werden. Es genügt, wenn die Behörde zu der Auffassung kommt, dass das Gerät nicht schädlich ist beziehungsweise die Patienten nicht gefährdet. Ziel des Programms ist es, Innovationen in Bereichen, in denen ein hoher medizinischer Bedarf nach Neuerungen besteht und in denen klinische Studien aufgrund geringer Patientenzahlen langwierig sind, schneller in die Klinik zu überführen. Für die Frühdiagnostik einer Abstoßungsreaktion war das für ein Verfahren, das immerhin als nicht-invasive Alternative zur Herzbiopsie antritt, als gegeben angesehen worden.
Pustefix macht Breitbanddiagnostik
Seit dieser Zulassung haben die Menssana-Mitarbeiter um Dr. Michael Phillips ein wahres Feuerwerk an Einsatzszenarien für das Testverfahren evaluiert und knapp ein Dutzend Studien publiziert. Sie zeigen, dass der Heartsbreath-Test, der auf dem Nachweis methylierter Alkane als Markersubstanzen für oxidativen Stress beruht, ein sehr breites Einsatzspektrum besitzt. Die Differenzierung erfolgt dabei nicht so sehr anhand der nachgewiesenen Einzelsubstanzen, sondern anhand eines dreidimensionalen Substanzprofils. Es wird aus den Konzentrationen einer großen Zahl von spektroskopisch und gaschromatographisch ermittelten Molekülen erstellt und dann elektronisch ausgewertet. In der Hardball-Studie konnten Phillips und seine Kollegen zeigen, dass ihr Atemtest für die Diagnose einer Abstoßungsreaktion dritten Grades nach Herztransplantation eine höhere Sensitivität, aber eine geringere Spezifität besitzt als eine Myokardbiopsie. Sie plädieren deswegen dafür, den Test als erstes anzuwenden, um die Zahl der Herzbiopsien zu verringern. Im Gefolge wurde der Test unter anderem bei Frauen mit Präeklampsie eingesetzt, die ebenfalls anhand ihrer Atemluft identifiziert werden konnten. Ob sich Risikokandidatinnen durch den Test auch früher identifizieren lassen, ist allerdings noch unklar. Ähnlich sieht die Situation bei Diabetikern aus. Auch sie können erkannt werden, ohne dass klar wäre, ob sich daraus ein klinischer Nutzen ergibt.
So richtig wissenschaftlich geadelt wurde die junge Firma in diesem Jahr auf der Jahrestagung der Amercian Society of Clinical Oncology. Hier wurde in einem Vortrag über positive Erfahrungen mit dem Atemtest bei der Früherkennung von Lungenkrebs berichtet. Satte 1,06 Millionen US-Dollar schließlich gab es für Phillips gerade von den National Institutes of Health. Die nämlich würden gerne wissen, ob Heartsbreath auch eine Lungentuberkulose erkennen kann.
Wie war das jetzt mit der Terroristenabwehr?
Nun ist die Organisation, die derzeit in den USA am großzügigsten medizinische Forschungsstipendien verteilt, bekanntlich nicht mehr die NIH, sondern das Heimatschutzministerium. Schon vor diesem Hintergrund ist es nahe liegend, die Indikation der Atemtests noch mehr auszuweiten. Physiologisch macht es Sinn: Menschen, die mit Substanzen wie TNT oder Dynamit hantieren, atmen flüchtige Substanzen aus, die sich per Atemtest nachweisen lassen. In ersten, noch unveröffentlichten Untersuchungen, über die die New York Times und das Magazin New Scientist berichteten, gelang es sogar, verschiedene Sprengstofftypen zu unterscheiden. Tritt Heartsbreath also an, den Kampf gegen den Terror zu revolutionieren? Müssen wir an Flughäfen bald nicht nur in Iris-Kameras schielen, sondern auch noch in einen "Breathalyser" husten? Es wäre jedenfalls nicht das erste Mal, dass sich die Hüter der Inneren Sicherheit im Arsenal der Biomedizin bedienen...