Nein, auch wir sind nicht der Auffassung, dass Stationsärzte künftig mit MP3-Player und Ear Plugs über die Flure hotten sollten. Trotzdem: Der iPod in der Kitteltasche ist längst Realität. Im Krankenhaus dient er allerdings dem Sehen, nicht dem Hören.
Eine Medizin ohne Computertomographien, MRT-Sequenzen oder PET-Aufnahmen? Kaum mehr denkbar am Anfang des 21. Jahrhunderts. Doch zweidimensionale Abbildungen sind den Experten für Medical Imaging längst nicht mehr genug: Egal ob virtuelle Koronarangiographie in der Kardiologie, rekonstruierte Schädelknochen in der Neurologie oder ex ante-Operationsplanung in der Leberchirurgie: Wer mit Schnittbildern arbeitet, den juckt die dritte Dimension. Der Hochleistungsrechner auf dem Schreibtisch macht es auch praktisch möglich und liefert innerhalb von Minuten 3-D-Sequenzen aus dem Körperinnern, die noch vor ein paar Jahren die absolute Domäne der medizinischen Zeichner und Animateure waren.
3D für alle statt elitäres Getue
Doch halt: Zweidimensionale Kopien eines Röntgenfilms sind zwar unhandlich. Auf Visite mitgenommen werden können sie aber allemal. Im Zweifel muss eben der PJler dran glauben und den lebenden Bildhalter spielen. Bei Filmsequenzen, 3D-Animationen gar, ist das etwas anders. Da heißt es bisher: "Stationsarzt, schwing die Hufe". Radiologische Filme aller Art werden entweder in der gemeinsamen Frühbesprechung zum an die Wand gebeamten Gegenstand der abteilungsweiten Bewunderung. Oder sie müssen auf dem allerheiligsten Rechner des Schöpfers, meist ein Radiologe, abgespielt werden, der argwöhnisch über die korrekte Bedienung seines Lieblingsspielzeugs wacht. Unvermeidlich? Nein. Radiologen und Nuklearmediziner in Los Angeles und Genf machen vor, wie es auch anders gehen kann: Sie nutzen einen iPod und holen sich damit medizinische Bilder direkt in die Kitteltasche. Entwickelt wurde das System unter anderem von Professor Osman Ratib, der in seinem Arbeitsleben im Wesentlichen zwischen Genf und Los Angeles hin und her gependelt ist. Ratib hat sich bereits in seiner Doktorarbeit in den frühen achtziger Jahren mit PAC-Systemen auseinander gesetzt, also mit jenen digitalen Bildarchiven und Bildbetrachtungssystemen, ohne die heute kaum mehr eine Radiologie auskommt. Dicom, längst der unangefochtene Standard für die Speicherung medizinischer Bilder, war damals gerade erst im Entstehen. Wen die Frühphase der PAC-Systeme näher interessiert, kommt in einem grandiosen Artikel auf seine Kosten, den die Zeitschrift Imaging Economics vor ein paar Monaten abgedruckt hat. Im Jahr 2003 standen Ratib und sein Gast aus Genf, Dr. Antoine Rosset, vor einem Problem: Das Interesse an dreidimensionalen Filmen, die aus den Schnittbildern der Computertomographen, Kernspingeräte und PET/CT-Scanner errechnet werden, wuchs und wuchs. Aber kaum jemand konnte sie sich ansehen: "Die Geräte, mit denen das möglich war, waren entweder zu teuer oder zu kompliziert oder sie waren einfach nicht da", so Ratib in einem Beitrag für das Nachrichtenmagazin CNN. Was gebraucht wurde, war ein externer Datenspeicher sowie eine Möglichkeit, die darauf abgelegten Bilder und Filme ohne Schwierigkeiten anzusehen.
Eine Software macht den iPod zum Dicom-Viewer für die Kitteltasche
Weder CDs noch USB-Sticks boten genug Speicher für dieses Unterfangen. Für sie wäre außerdem ein extra Computer nötig gewesen, was Ratib zu umständlich war. Die Lösung war der iPod, doch bevor der seine Premiere in den Radiologien dies- und jenseits des Atlantiks feiern konnte, musste erstmal eine vernünftige Software her. Sie sollte möglichst nicht viel kosten, denn eines der Ziele von Ratib und Rosset war es, ein Werkzeug zu entwickeln, das jeder nutzen konnte. Die Antwort hieß Osiris, eine Open Source Software zum Ansehen von Dicom-Bildern. Das Programm existierte schon länger, taugte aber nicht für 3D-Filme. Die Radiologen schrieben es deswegen kurzerhand für eine Macintosh-Plattform um und nannten die neue Fassung OsiriX. Das Programm kann zur Dicom-Bildbetrachtung auf Macs aller Art genutzt werden. Eine der populärsten Anwendungen aber ist die Einbindung des iPod. Sie wurde über ein benutzerfreundliches Docking-System realisiert, bei dem neue Dicom-Bilder automatisch auf den iPod übertragen werden, wenn dieser mit dem Mutterrechner verbunden wird.
Spätestens mit dem Video iPod wird die Workstation völlig uncool...
Anfangs war der Medi-iPod nicht mehr als ein Datenspeicher, der lediglich um einiges mehr Fassungsvermögen hatte als eine CD oder ein USB-Stick. Mit der Einführung der Photo-Funktion verselbständigte sich der Winzling und zeigte den Stationsärzten in Genf und Los Angeles plötzlich medizinische Schnittbilder auch mobil an. Sogar die Betrachtung von 3D-Sequenzen wurde möglich, wenn auch nicht in optimaler Qualität. Der neue Video iPod dürfte das jetzt ändern und das Visiten-TV noch einmal wesentlich komfortabler machen...