Im Kampf gegen die kommende Grippewelle setzen Forscher auf einen Simulator, der in kürzester Zeit den Verlauf von Infektionskrankheiten berechnen kann - und im Ernstfall selbst das Herannahen einer Pandemie erkennt.
Die Viren verbreiten sich unkontrolliert und schnell, die Lage gerät außer Kontrolle. Obwohl für den Ausbruch von Pandemien klare Regelungen gelten, sind die Behörden überfordert: Grenzen werden unnötig geschlossen, der Impfstoff zu spät verteilt. Ein Horrorszenario, dem in Zukunft die Fortentwicklung des legendären InteSim Einhalt gewähren soll. Der von Tübinger Uni-Forschern am Institut für Medizinische Biometrie entwickelte Simulator erhielt nicht nur den "Sonderpreis Open Source Software" der Wirtschaftsinitiative Baden-Württemberg im Oktober vergangenen Jahres. Er gilt heute, in seiner weitergeführten Version, als weltweit wichtiges Tool im Kampf gegen Grippe, SARS oder anderen drohenden Seuchen. Denn das von Markus Schwehm und Martin Eichner entwickelte System avancierte zum Unikum. Es verfügt in nämlich über eine bisher einzigartige Software, die mit über 50 Stellgrößen die Verbreitung infektiöser Erreger vorhersagen kann.
Zwar vermochten auch andere Computerprogramme anhand von Parametern wie Alter, Kontaktverhalten und Risikopotenzial zu prognostizieren, wie sich beispielsweise eine Grippe entwickeln wird. Kritisch wurde es allerdings, wenn neue Erreger auftauchten - über die keine verlässlichen Daten vorliegen konnten.
Gerüstet für den worst case
So gilt die genetische Vermischung des Vogelgrippevirus H5N1 mit dem humanen Influenza-Virus zwar als unwahrscheinliches, aber keinesfalls unmögliches Phänomen. Käme es tatsächlich dazu, ließe sich der neue Simulator sehr schnell an die heute noch nicht bekannten Eigenschaften des neuen Erregers anpassen. "Der Impfstoff gegen die Variante der Vogelgrippe, die Menschen befallen könnte, lässt sich erst nach einem Ausbruch der Krankheit herstellen, aber dann dauert es Monate, bis große Mengen davon produziert werden können. Wenn es nicht gelingt, den Ausbruch der Grippe im Ursprungsland bereits im Keim zu ersticken, dann geht es zumindest darum, den Ausbruch so lange zu verzögern, bis für möglichst viele Menschen Impfstoff verfügbar ist", erklären Schwehm und Eichner. Die Bedienung des Simulators ist einfach. Über virtuelle Schieberegler können Epidemiologen die jeweils vorhandenen Daten eingeben. Das System erstellt daraus Kurvendiagramme und eine anschauliche Flächendarstellung die eben das visualisiert, was der Erreger in der ausgewählten Bevölkerungsgruppe anrichtet. Anhand der vom Computer aufgezeigten Verbreitungsweise von Influenza & Co. ließen sich auch unter enormen Zeitdruck sehr schnell reale Notfallpläne erstellen, meinen die Forscher.
Ich seh' was, was du nicht siehst
Zudem verfügt das System über die so genannte Individuen-basierte Modellierung. Dabei wird der Infektionszustand einzelner Menschen berücksichtigt - etwa ob jemand angesteckt sein könnte, aber keinen Arzt aufsucht. Flexible Szenarien zu nötigen Isolations- oder Impfungsmaßnahmen rücken damit in greifbare Nähe.
Ob solcher Möglichkeiten stoßen die Forscher in der Fachwelt auf viel Resonanz. Die beiden Wissenschaftler, die mittlerweile ihr Know how im Rahmen eines universitären Spin off ausgelagert haben, arbeiten eng mit dem Robert-Koch-Institut in Berlin zusammen, das den InterSim testete. Auch das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherheit ist an der Einführung des Systems interessiert. Womöglich nicht ohne Eigennutz. Denn das System bewertet sogar die Folgen der Medienberichterstattung - wer viel über eine drohende Epidemie hört, bleibt dem Programm zufolge zu Hause, und verändert damit ganz kostengünstig die Verbreitungsgeschwindigkeit der kommenden Seuche.