Der am Donnerstag verfügte Importstopp für Geflügel aus Rumänien macht klar: die EU nimmt die drohende Ausbreitung der Vogelgrippe ernst. Über die Hintergründe und den weiteren möglichen Verlauf der Seuche sprach der Leiter des in Mittelhäusern bei Bern ansässigen Instituts für Viruskrankheiten und Immunprophylaxe (IVI), Dr. Christian Griot, mit DocCheck-Autor Vlad Georgescu.
DocCheck: Die Berichte über angebliche Vogelgrippefälle in Rumänien sind für Laien konfus und schlecht nachzuvollziehen. Selbst viele Ärzte sind ratlos, wenn besorgte Patienten Fragen zur Seuche stellen.
Griot: Dafür habe ich absolutes Verständnis. Denn selbst für mich als Laborfachmann ist die Lage schwierig nachvollziehbar: am Mittwoch gab es nach den ersten Alarmmeldungen eine klare Entwarnung, um dann einen Tag später zu verkünden, man hätte doch etwas gefunden. Aus unserer Sicht sind solche Meldungen mit Vorsicht zu genießen - nicht alle Labors in der Welt verfügen über die nötigen Ressourcen, um wie Deutschland, Österreich oder die Schweiz auf dem neusten Stand zu sein.
DocCheck: Trotz solcher Unsicherheiten haben die rumänischen Behörden die Bevölkerung der betroffenen Gebiete gegen die "normale" Influenza impfen lassen. Eine medizinisch sinnvolle Entscheidung?
Griot: Die normale Grippeimpfung sollte generell von uns allen viel mehr in Anspruch genommen werden. Denn der verfügbare Impfstoff ist verträglich und schützt auch gut vor einer normalen Grippe. Allerdings: vor der Vogelgrippe, also dem H5N1 Virus, schützt das Vakzin nicht. Die rumänischen Behörden begründen ihre Impfaktion ja auch ganz anders. Man will verhindern, dass sich Vogelgrippe-Erreger und normale Influenza-Viren gleichzeitig im Patienten "vermischen". Eine gewisse Logik ist nachvollziehbar, jedoch bezweifle ich stark, ob sich die generelle Zwangsimpfung in besagten Gebiet in Rumänien einfach so durchführen lässt.
DocCheck: Droht also die Gefahr eines Supervirus?
Griot: Dieses Risiko besteht - und zwar nicht erst seit den Vorfällen in Rumänien und der Türkei, sondern schon seit dem Bekanntwerden des großen Ausbruches in Asien im Jahr 2004.
DocCheck: Auf der anderen Seite fragen wir uns, warum das in der Natur nicht schon geschehen ist....
Griot: ...und treffen mit der Frage genau den Kern. Das ist eben die Natur - nicht alles lässt sich theoretisch erklären!
DocCheck: Die Unterschiede zwischen beiden Erregern sind aber bekannt.
Griot: Was die Lage nicht vereinfacht. Beide Erreger gehören zur Gruppe der Influenza A Viren. Beim Geflügel sind in der Regel vor allem Typen von H5 oder H7 gefährlich. Bei einer Infektion durch diese beiden Erreger sterben in der Regel alle Tiere innnerhalb weniger Tage. Beim Menschen hingegen sind meist andere Typen vorhanden, etwa H1, H2 oder H3.
DocCheck: Trotz solcher Parallelen gibt es keinen Impfstoff gegen H5N1. Wie ist das zu erklären?
Griot: Der normale menschliche Grippe-Erreger kann durch die Impfstoffproduzenten leicht verarbeitet werden. Beim H5N1 Typ, dem Erreger der Vogelgrippe, ist dies nicht so einfach möglich. Denn das Virus zeigt unter anderem ganz andere Wachstumseigenschaften in der Zellkultur - und muss deshalb vor der Verarbeitung zuerst gentechnologisch modifiziert werden. Ohne diesen Schritt kann er auf Zellkulturen nicht gedeihen. Sie sehen, schon die Züchtung ist schwierig.
DocCheck: Sie prägten unlängst den Begriff des "Agroterrorismus" - warum eignen sich Erkrankungen wie die Vogelgrippe, um den Ländern der westlichen Welt bewusst einen immensen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen?
Griot: Mit Agroterrorismus ist eine spezielle Variante des Terrorismus gemeint. Hier könnten Viren, aber auch Bakterien, Pilze oder sogar Schädlinge eingesetzt werden, die die Landwirtschaft, und damit die Nahrungskette des Menschen, bedrohen. Alle hoch ansteckenden Viren, wie etwa Vogelgrippe-Erreger, würden sich dazu eignen. Die jetzigen Ausbrüche in Asien und Europa sind allerdings "hausgemacht".
DocCheck: Wie kann ein normaler Hausarzt denn die Symptome der avianen Influenza überhaupt erkennen?
Griot: Rein klinisch gibt es zwischen der normalen Grippe und einer anfänglichen H5N1 Infektion keinen Unterschied. Aufschluss bringt nur eine Laboranalyse, dafür haben wir in allen Ländern der EU, wie auch in der Schweiz, die notwendigen Kapazitäten...
DocCheck: ...die aber vermutlich nicht immer in Anspruch genommen werden.
Griot: Es muss daher auch betont werden, dass das Vogelgrippevirus nicht sehr leicht auf den Menschen überspringt, und schon gar nicht von Mensch zu Mensch übertragen wird. Ich hoffe natürlich, dass das so bleibt.
DocCheck: Würden Sie als Bürger das Anti-Grippemittel Tamiflu vorsorglich horten?
Griot: Nein, das ist ein rezeptpflichtiges Medikament. Ärzte sollten mit der Verordnung des Präparates behutsam umgehen. Denn auch hier ist, wie bei Antibiotika, eine Resistenzbildung möglich. Ebenfalls sind Nebenwirkungen möglich.