Wer eine Allergie hat und nicht mehr weiter weiß, könnte sich künftig von Würmern helfen lassen. Die schon seit einiger Zeit diskutierte "Wurmhypothese", wonach entsprechende Mitbewohner im Darm einen günstigen Einfluss auf das Immunsystem haben, wird jetzt in einer klinischen Studie erprobt. Halten die Würmer bald Einzug ins Offizin?
Das Szenario klingt noch ein wenig gewöhnungsbedürftig: Ein Patient mit Allergie oder Asthma kommt mit einem Rezept in die Apotheke. "Necator americanus", steht da drauf, und der Apotheker reicht ohne mit der Wimper zu zucken ein Packung Würmer über den Verkaufstresen. Spinnerei?
Mehr Hakenwürmer, weniger Asthma?
Ob diese Vision jemals Realität wird, ist in der Tat höchst fraglich. Doch der britische Immunologe und Parasitologe David Pritchard von der Universität Nottingham hält die ihr zu Grunde liegende Hypothese zumindest für so interessant, dass er jetzt eine Studie beginnt, bei der er fünfzig Menschen, die stark unter Allergien leiden, mit Hakenwürmern infizieren will, freiwillig versteht sich. Das Ziel: Das Ausmaß der alljährlichen Beschwerden soll spürbar reduziert werden. Hintergrund ist eine Beobachtung, die die Arbeitsgruppe um Pritchard bereits vor ein paar Jahren gemacht hat. Der Wissenschaftler hatte darüber in der Fachzeitschrift The Lancet berichtet und verständlicherweise einige Aufmerksamkeit erhalten. Er beobachtete in den späten neunziger Jahren insgesamt knapp 13000 Menschen im ländlichen Äthiopien. Bei jenen, bei denen in den zwölf Monaten vor Studienbeginn Asthmabeschwerden aufgetreten waren, wurden Stuhluntersuchungen gemacht und Serumparameter bestimmt und diese dann mit Kontrollpersonen vergleichen, bei denen es keine entsprechenden Beschwerden gab. Untersucht wurde unter anderem im Hinblick auf diverse Infektionen, darunter die per Stuhluntersuchung nachweisbare Hakenwurminfektion des Darm. Es handelt sich dabei um eine der häufigeren Parasiteninfektionen des Menschen, die medizinisch zumindest so relevant ist, dass seit Längerem an einer Impfung gearbeitet wird. Das Ergebnis war eindeutig: Anders als eine Hepatitis A-Infektion war die Hakenwurminfektion ein unabhängiger Prädiktor für ein besseres Abschneiden in Sachen Asthma. Mit anderen Worten: Wer Hakenwürmer hatte, bei dem war die Wahrscheinlichkeit, Asthmabeschwerden zu entwickeln, geringer, und zwar mit einer Odds Ratio von 0,48, was statistische Signifikanz erreichte.
Der umstrittenen Therapie liegt ein umstrittenes Konzept zu Grunde
Dass jetzt Allergieopfer, und nicht Asthmapatienten für die Studie ausgewählt werden, hängt unter anderem mit Tierversuchen zusammen, die seither gemacht wurden. In ihnen zeigte sich, dass die so genannte Hygienehypothese bei Allergien "härter" ist als bei Asthma. "Die Hygienehypothese basiert auf der Beobachtung, dass die Allergieneigung in Industrieländern größer ist als in Ländern, wo die Infektionsraten höher sind", sagte Professor Eckhard Hamelmann von der Charité Berlin kürzlich anlässlich des Weltallergiekongresses in München. Soll heißen: Den Menschen in einer modernen, westlich geprägten Umwelt könnte in früher Kindheit der Kontakt zu bestimmten Allergenen und/oder Mikroorganismen fehlen. Dieses "Defizit" könnte dann dazu führen, dass das Immunsystem später überreagiert und Allergien hervorbringt, deren Auftreten wiederum mit einer erhöhten Asthmaneigung korreliert. Für dieses gewagte Konstrukt spreche unter anderem die Beobachtung, dass Kinder, die früh in den Kindergarten kommen, die viele Geschwister haben oder die gehäuft Infekte erleiden, weniger Allergien entwickelten als ihre Altersgenossen, wie Hamelmann erläuterte. Auch Professor Ulrich Wahn, ebenfalls Charité Berlin, schlägt in diese Kerbe: "Kinder türkischstämmiger Migranten, Kinder von bayerischen Bauernhöfen und Kinder von Anthroposophen bekommen sehr viel seltener Asthma". Trotzdem: Die Hygienehypothese hat bei Weitem nicht nur Anhänger.
Infizieren oder das Immunsystem ein wenig mit den Antigenen jucken?
Kandidateninfektionen können die "Hygieniker" eine ganze Menge präsentieren: Neben Hakenwürmern werden auch Spulwurminfektionen immer wieder in die Diskussion gebracht. Sie waren bei Kindern in der ehemaligen DDR, wo Allergien seltener diagnostiziert wurden, sehr viel häufiger als im Westen. Auch Infektionen mit gramnegativen Bakterien aller Art sind beliebt: Das Endotoxin aus der Zellwand könnte hier der entscheidende Faktor sein. Schließlich gibt es auch noch die Tuberkuloseinfektion. Eine japanische Arbeitsgruppe kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass Allergien umso seltener sind, je stärker die Antwort im Tuberkulintest ausfällt. Und Tiere, die mit Tuberkulose konfrontiert wurden, neigen weniger zu Allergien, als jene ohne Kontakt zu Mykobakterien. Die Frage ist, was man daraus macht. Pritchard wählt in England die harte Tour. Hamelmann in Berlin dagegen nimmt nicht lebende Organismen, sondern nur deren Antigene. In einer Studie seiner Klinik erhalten insgesamt 500 Hochrisikokinder in den ersten Monaten nach der Geburt endotoxinhaltige Tropfen als Allergieprophylaxe. Diesseits wie jenseits des Ärmelkanals gilt: Mit Ergebnissen wird erst in einigen Jahren gerechnet.