Low-Dose-CTs können Leben retten, wenn ein Lungenkarzinom früh entdeckt wird. Doch falsch positive Untersuchungsergebnis versetzen Patienten in Angst. Führen neue Screening-Strategien tatsächlich zu besseren Ergebnissen oder nur zu mehr Verunsicherung?
Mit 45.224 Todesfällen im Jahr 2015 stehen Lungen- und Bronchialkarzinome auf Platz eins der krebsbedingten Sterblichkeit, berichtet das Statistische Bundesamt (DESTATIS). Unter allen Opfern befanden sich 15.870 Frauen und 29.354 Männer. Die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) haben US-weit insgesamt 156.176 Sterbefälle erfasst, darunter 70.518 Frauen und 85.658 Männer. Europa und Amerika kämpfen mit ähnlichen Problemen: Viele Krebserkrankungen dieses Bereichs werden zu spät erkannt. Während Kollegen bei uns skeptisch sind, empfiehlt die United States Preventive Services Task Force (USPSTF) Risikopatienten eine Low-Dose-CT-Untersuchung pro Jahr.
Das Gremium aus unabhängigen Ärzten diverser Fachrichtungen berät verschiedene Behörden. Als Zielgruppe sehen sie Menschen zwischen 55 und 80 Jahren mit 30 oder mehr Packungsjahren, die gerade rauchen oder vor weniger als 15 Jahren ihre letzte Zigarette angerührt haben. Die zehn häufigsten Todesfälle durch Krebserkrankungen (2015). © DESTATIS Linda S. Kinsinger von der Veterans Health Administration wollte wissen, wie sinnvoll die Untersuchungen tatsächlich sind. Zusammen mit Kollegen identifizierte sie 4.246 Personen, die USPSTF-Kriterien erfüllten. Von ihnen nahmen 2.106 die Leistung in Anspruch. Bei 55 Prozent aller Untersuchungen fanden Ärzte Anomalien, und weitere Tests folgten. Lungenkrebs als Diagnose wurde bei 31 Patienten (1,5 Prozent) gestellt. 20 Personen litten an einem Tumor im frühen, behandelbaren Stadium. „Ich denke, viele Menschen setzen beim Thema Screening die rosarote Brille auf“, kritisiert Dr. Rita Redberg von der University of California, San Francisco, im Editorial. „Nur wenige Patienten profitieren tatsächlich davon.“ Es geht aber auch um ökonomische Aspekte. Die Untersuchung schlägt mit rund 300 US-Dollar zu Buche. Von 6,7 Millionen Versicherten der Veterans Health Administration erfüllen laut Kinsinger etwa 900.000 die USPSTF-Kriterien. Anbieter von CT-Screenings versuchen, über Social Media direkt ihre Zielgruppe - also Laien - anzusprechen:
Nicht nur Kinsinger sieht dies kritisch. Der von ihr jetzt veröffentlichte Trend zeigte sich schon bei der National Lung Screening Trial. Eingeschlossen wurden 53.454 starke Raucher oder Ex-Raucher im Alter von 55 bis 74. Sie erhielten über drei Jahre hinweg jährlich eine konventionelle Röntgenuntersuchung oder ein Low-Dose-CT des Thorax. Die gute Nachricht: Low-Dose-CTs verringerten ihr Risiko, an Lungenkrebs zu sterben, um 15 bis 20 Prozent, verglichen mit Standard-Röntgenaufnahmen. Jedoch zahlte so mancher Teilnehmer einen hohen Preis. Auf 1.000 Personen kamen 391 mit positivem Ergebnis in einer der drei Screening-Untersuchungen. Von ihnen hatten 40 tatsächlich Lungenkrebs. Bei den restlichen 351 bestätigte sich der Verdacht nicht. Die Folgeuntersuchungen, etwa Bronchoskopien oder Feinnadelbiopsien, sind nicht frei von Risiken. Drei von 1.000 Patienten erlitten schwerwiegende Komplikationen. Die Ausgaben inklusive Folgekosten summierten sich auf durchschnittlich 1.631 US-Dollar pro gescreenter Person und gingen mit einem Gewinn von 0,0316 Lebensjahren und 0,0201 QALYs (qualitätsadjustierten Lebensjahren) einher.
Was bedeuten die Analysen für unser heimisches Gesundheitssystem? Professor Dr. Andreas Stang vom Uniklinikum Essen hat zusammen mit Kollegen die Zahlen extrapoliert. Basis seiner Studie waren Daten aus Befragungen des Robert Koch-Instituts zum Nikotinkonsum. Ausgehend von der Annahme, dass etwa 50 Prozent aller starken Raucher zwischen 55 und 74 Jahren ein Low-Dose-CT-Screening in Anspruch nehmen, kommt der Experte auf 1,3 Millionen Menschen. Innerhalb von drei Jahren führt dies zu 916.918 Untersuchungen mit Tumorverdacht. Bei 519.837 Patienten wird sich laut Stang im besagten Zeitraum die Diagnose bestätigen. Etwa 4.155 Lungenkrebstodesfälle würden innerhalb von 6,5 Jahren vermieden. Gleichzeitig käme es zu 12.449 Komplikationen aufgrund der weiteren Diagnostik, darunter 4.363 schwerwiegende Ereignisse und 1.074 Todesfälle.
Screenen oder nicht – nach diesen extrapolierten Zahlen ist guter Rat umso teurer. Andreas Stang überlegt, wie es gelingen könnte, unerwünschte Effekte zu minimieren. Beim National Lung Screening Trial fiel auf, dass 64 Prozent aller tumorverdächtigen Knoten maximal sieben Millimeter groß waren. „Die volumetrischen Messungen von Läsionen und deren Verlaufskontrolle, wie sie im NELSON Trial und im UK Lung Screen Pilot Trial genutzt wurden, könnten den Anteil falschpositiver Befunde weiter senken“, schreibt der Kollege. Bei einem Mindestdurchmesser von acht Millimetern anstelle von fünf Millimetern ließen sich 66 Prozent aller falschpositiven Befunde vermeiden. Im Gegenzug würden 10,5 aller Lungenkrebserkrankungen verzögert oder nicht entdeckt, die bei der Screening-Studie aufgefallen sind. In der Diskussion feht ein Aspekt: Screenings helfen primär Patienten, die über lange Jahre hinweg geraucht haben. Um neue Fälle zu vermeiden, ist der Gesetzgeber gefragt. Schon einmal, nämlich zwischen 2002 und 2005, ist es gelungen, mit restriktiven Maßnahmen den Absatz von Zigaretten drastisch zu verringern. Gesetzgeberische Maßnahmen in Orange: Tabaksteuererhöhungen (TS), Nichtraucherschutzgesetze (NR), Jugendschutz (JS), Werbeverbote (WV), Warnhinweise (WH). © Tabakatlas Deutschland 2015 / DKFZ