Wenn im Krankenhaus angesetzte Medikamente ambulant verändert werden, machen Patienten das oft an der Farbe fest und sind verwirrt. In Heidelberg wird jetzt eine ambulant-stationäre Verordnungsmaschinerie erprobt, die den steten Pillendissens zwischen Klinik und medizinischem Umland auflösen soll. Das Ziel ist die universelle Harmonie.
In der Klinik gab es blaue Pillen. Warum kriege ich jetzt wieder die roten? Fragen dieser Art hören Apotheker immer wieder, wenn Patienten aus der Klinik entlassen werden. Klinikaufenthalte sind Arzneimittelwechseljahre: Fast die Hälfte der Patienten verlässt die Klinik mit anderen Medikamenten als denen, die vorher eingenommen wurden. Und bei immerhin einem Drittel dieser Patienten wirft der Hausarzt die stationäre Medikation nach der Entlassung wieder über den Haufen. Das wiederum badet nicht selten der Apotheker aus: Er kommt gegenüber seinem Kunden in Erklärungsnöte, wenn plötzlich doch wieder die alte Packung über den Tresen wandert und nicht die achtmal teurere aus dem Entlassungsbrief.
Heidelberger Klinik entdeckt die kommunikative Ethik
Dieses Problem ist nicht ganz neu. Gerade junge Klinikärzte in Fachabteilungen sind oft der Auffassung, dass die in ihrer Abteilung favorisierten Therapieschemata gottgegeben sind. Viele Assistenten haben zudem keinerlei Gefühl für den Preis eines Arzneimittels. Umgekehrt dauert es ambulant tatsächlich länger, bis sich Studienwissen in der Breite festsetzt. Auch werden ambulant mehr Arzneimittelinteraktionen übersehen, und es wird häufiger falsch dosiert. Was unerwünschte Wirkungen angeht, sind Niedergelassene hingegen sensibler als Klinikärzte. Auch die schiere Zahl der zur Verfügung stehenden Arzneimittel spielt eine Rolle: Die typische Klinik hat deren 3000. Der ambulante Arzt dagegen schöpft aus einem Fundus von 60.000 und mehr. In Heidelberg besinnt man sich jetzt auf die Grundprinzipien der kommunikativen Ethik, die im Verordnungszirkus bisher in der Tat auf breiter Front verletzt werden: Handle so, dass Kommunikation möglich bleibt. Im 21. Jahrhundert heißt das: Bau eine interdisziplinäre Internetplattform auf. Das Projekt HeiCare wird von der AOK Baden Württemberg im Rahmen eine Vertrags zur integrierten Versorgung gemäß §140a, SGB V, finanziert. Eine Teilnahme soll AOK-Patienten in der Rhein-Neckar-Region ab Herbst angeboten werden. Beteiligt sind die Sektion Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung und der Lehrstuhl für Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie der Universität Heidelberg. Auf der anderen Seite stehen zunächst 40 mit dem Klinikum kooperierende Hausarztpraxen.
Zwischen den Gesprächspartnern steckt reichlich Elektronik
Das Konzept ist eine Mischung aus Kommunikationsverbesserung und Einsatz der im Heidelberger Klinikum bereits erfolgreich erprobten, elektronischen Verordnungshilfe AiDKlinik. Am Ende soll eine elektronische Plattform stehen, auf der Niedergelassene die Medikation ihrer Patienten übermitteln und Stationsärzte den Kontakt zum Niedergelassenen halten, so die Projektverantwortliche Dr. Sabine Ludt im Gespräch mit dem DocCheck-Newsletter über das Ziel von HeiCare, das Ende 2006, Anfang 2007 erreicht sein soll. Anders ausgedrückt: Der ambulante Arzt erhält Einspruchsmöglichkeiten, wenn der Stationsarzt vor der Entlassung schon mal die geänderte Medikationsliste übermittelt. Er kann seine individuellen Erfahrungen mit bestimmten Präparaten einfließen lassen, bevor er durch den Entlassungsbrief vor vollendete Tatsachen gestellt wird. Zwischen Einweisung und Entlassung wird bei HeiCare eine ganze Menge Elektronik geschaltet. Wissensbasen kontrollieren die Medikation auf Wechselwirkungen und Dosierungsfehler. Bei der Entlassung überprüft ein Programm nicht nur die Therapie, sondern auch die Kosten und weist den Hausarzt von vornherein auf günstige Generika oder Ausweichpräparate hin. All das sind keine Revolutionen. Wenn sie aber konsequent durchgehalten werden, sind es nützliche Verbesserungen, die dem Verständnis der jeweils anderen Seite dienen. Ich erwarte, dass die Überprüfung und Anpassung des Verordnungsplans bei Patienten, die in der Klinik waren, künftig weniger Zeit in Anspruch nimmt, sagt beispielsweise Dr. Christiane Eicher, eine Hausärztin in Heidelberg-Eppelheim. Einhundertprozentig selbstlos ist das freilich nicht, denn die Niedergelassenen erhalten im Rahmen des Integrationsvertrags ein Extrahonorar. Die Klinikärzte gehen, wie üblich bei solchen Projekten, leer aus. Zu den Profiteuren wird aber sicher auch der Apotheker gehören: Er hatte bisher einen Großteil des ambulant-stationären Harmoniedefizits abzupuffern...