Hunderte Zentren, zehntausende Patienten: Klinische Studien sind Logistik pur. Einfacher könnten die Mammutprojekte durch einen systematischen Einsatz des Internets werden. Doch die Studienbosse tun sich schwer. Warum?
Vermutlich ist es einfach nur Zufall, dass sich die randomisierte, kontrollierte, klinische Studie und das Internet ziemlich parallel entwickelt haben. Die eine revolutionierte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die klinische Forschung. Das andere tat dasselbe mehr oder weniger zeitgleich mit der zwischenmenschlichen Kommunikation. Zusammengefunden haben beide Revolutionäre bisher nicht, jedenfalls nicht so richtig. Klinische Studien setzen noch immer überwiegend auf Papier, obwohl Ärzte gerade in der Forschung das Internet für so ziemlich alles andere nutzen.
Internetstudie heißt mehr als nur Studien-Website
Das Cochrane Clinical Trial Register verzeichnet derzeit über 415.000 kontrollierte Studien, die seit den späten sechziger Jahren aufgelegt wurden. Die Forschungsdatenbank PubMed findet immer noch über 30.000 "RCT" mit veröffentlichten Ergebnissen, wie der Anästhesist und Internetspezialist James Paul kürzlich für einen Beitrag in der Zeitschrift Journal of Medical Internet Research recherchiert hat. Fast alle Studien nutzen heutzutage auf die eine oder andere Weise das Internet. So haben viele Großstudien eine eigene Studienwebseite, die nicht nur den Ärzten, sondern auch den Teilnehmern als Informationsplattform dient. Für die Suche nach Literatur und Sponsoren oder als Hilfsmittel beim Entwurf des Studiendesigns stehen vielfältige Werkzeuge zur Verfügung, die auch breit angewandt werden. Sehr viel weniger gängig ist dagegen die Nutzung des Internets für die Durchführung der Studie selbst, also für all jene Schritte, die sonst Papier und Bleistift benötigen. Dazu gehört die Rekrutierung von Patienten, das Einholen der Einverständniserklärung, die Randomisierung und die Dokumentation von Untersuchungsergebnissen oder Messwerten. Nur wenn die meisten oder alle dieser Vorgänge online erfolgen, kann von echten Internetstudien gesprochen werden.
Zufallsgeneratoren gibt es auch im Internet
Als größte derartige Internetstudie gilt derzeit die kardiologische INVEST-Studie, in der bei hypertensiven Patienten mit koronarer Herzerkrankung verschiedene medikamentöse Behandlungsstrategien verglichen wurden. Dank der praktisch kompletten Abwicklung über das Internet konnten fast 900 Studienzentren teilnehmen, in der Regel Praxen der Primärversorgung mit Ärzten, die selbst Studienneulinge waren. Rund 22.500 Patienten wurden für INVEST zunächst online registriert und gaben via Monitor ihre Einverständniserklärung ab. Es folgte eine so genannte Onlinerandomisierung, für die im Internet Hilfsmittel existieren, etwa auf der Seite Randomization.com. Eine Onlinerandomisierung stellt eine erhebliche Arbeitserleichterung gerade für Multicenterstudien dar, bei denen zu diesem Zweck derzeit meist eine je nach Studie unter Umständen 24 Stunden besetzte Telefonhotline eingesetzt wird. Das Herz einer Onlinestudie ist natürlich die Datenerhebung über eine Eingabemaske. Aber auch die Studienmedikation wurde von den Ärzten in der INVEST-Studie online geordert. Die Vorteile einer radikalen Onlinestudie liegen auf der Hand. Die Verarbeitung der eingegebenen Daten kann bei Bedarf in Echtzeit erfolgen. Gerade große Multicenterstudien werden handhabbarer und auch billiger. „In einer webbasierten klinische Studie können sich die Ärzte in den Zentren vor allem mit der Medizin beschäftigen, und nicht mit Verwaltungsaufgaben“, sagt der Statistiker Ronald Marks von der Universität Florida, der die Managementaspekte der INVEST-Studie ausgewertet hat.
Onlinestudien: Keine Zukunft ohne Pseudonyme
Trotz des positiven Resumées wagten sich andere Studienplaner bisher nur zögerlich auf den von INVEST vorgegebenen Weg. Hauptgrund ist wahrscheinlich eines der größten Fragezeichen hinter Onlinestudien, nämlich die Datensicherheit. Zwar ist es zweifellos möglich, eine Onlinedatenerhebung im Rahmen einer klinischen Studien technisch sicher zu machen. Ein anerkannter Standard dafür aber existiert noch nicht. Viele Onlinestudien verzichten deswegen auf die Übermittlung von Daten, die zur Identifizierung eines Patienten genutzt werden können – eine erhebliche Einschränkung. Die einzig denkbare Alternative ist die kryptographische Verschlüsselung der Daten in Verbindung mit einer aufwendigen Pseudonymisierung der Patienten. Eine derartige Infrastruktur wird derzeit von der Telematikplattform für medizinische Forschungsnetze (TMF) entwickelt, die auf den vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierten Kompetenznetzen aufbaut. Ziel sind zentrale Studienserver, auf denen die Patientendaten für jeden teilnehmenden Wissenschaftler zugänglich sind, ohne dass dieser erfährt, zu wem die Daten jeweils gehören. Der einzige, der individuelle Patientendaten einem Menschen aus Fleisch und Blut zuordnen kann ist der Arzt, an dessen Zentrum dieser Patient für die Studie rekrutiert wurde. Kern des Konzepts ist ein vertraulicher Pseudonymisierungsdienst zwischen Klinik beziehungsweise Arztpraxis einerseits und zentraler Datenbank andererseits. Die Patientennummer wird dabei vom Pseudonymisierungsdienst mit Hilfe eines kryptografischen Verfahrens verändert. Diese codierte Nummer wird dann zusammen mit den persönlichen medizinischen Daten auf dem Server abgelegt. Nach Auffassung des Medizininformatikers Otto Rienhoff von der Universität Göttingen wird die Medizin um die Einrichtung einer solchen Pseudonymisierungsinfrastruktur für Studien, möglicherweise auch für andere elektronische Aktensysteme, mittelfristig nicht herum kommen. Interessant wird die Frage, wie sich ein solcher Dienst in die Chipkarteninfrastruktur einfügt, die derzeit entwickelt wird. Einfacher wird sie dadurch sicher nicht...