Für alle, denen die ganze Debatte um die Bioethik schon immer zu kopflastig war, gibt es jetzt eine echte Alternative zum FAZ-Feuilleton. "Gen.ethix" heißt das brandaktuelle Online-Spiel zum Bioethikdiskurs. Das Ziel: Ethische Konfliktsituationen zum Anfassen statt Theoretisieren auf holzfreiem Papier.
"Mein Name ist Melton. Ich arbeite bei einer Versandapotheke in den Niederlanden. Seit einer Woche verzeichnen wir eine verstärkte Nachfrage aus Deutschland nach einem Medikament gegen Morbus Parkinson". Klar, knapp und sehr konkret: Mit den Sätzen des fiktiven Apothekenangestellten Melton beginnt eines der bisher drei ethischen Konfliktszenarien, die von bioethisch interessierten Webnutzern im Rahmen des neuen Bioethik-Online-Spiels gen.ethix durchgespielt werden können. Gen.ethix wurde von Mitarbeitern des Deutschen Humangenomprojekts und der Arbeitsgruppe Bioethik und Wissenschaftskommunikation am Max Delbrück-Zentrum für Molekulare Medizin in Berlin-Buch konzipiert. Technisch realisiert wurde es von Studenten des Fachbereichs Design an der Fachhochschule Potsdam.
Bioethik zum Anfassen und Mitmachen
Der ethische Konflikt im genannten, natürlich hypothetischen, Beispiel entsteht, weil das neue Parkinsonmedikament, von dem Melton berichtet, in England entwickelt wurde, und zwar unter Einsatz von Forschungsergebnissen mit eigens dafür gezüchteten embryonalen Stammzellen. Deswegen ist das entsprechende Präparat in Deutschland, wo die embryonale Stammzellforschung mit neu gezüchteten Zelllinien derzeit nicht erlaubt ist, auch nicht erhältlich. Der Spieler schlüpft nun in die Rolle eines Menschen, dessen Vater an Parkinson erkrankt ist, und muss sich überlegen, ob er das Medikament trotz Embryonenforschung im Internet bestellt oder nicht. Ähnlich wie der Fall Das neue Medikament sind auch die beiden anderen Konfliktszenarien aufgebaut, in denen es sich um Gentests und um Pharmakogenomik dreht. Um die geforderten Entscheidungen treffen zu können, wird der Spieler auf Wunsch mit ausführlichen Sachinformationen versorgt, die mit Flashanimationen und Videolinks multimedial aufbereitet sind. So wird der Parkinsonfall illustriert durch ein Video über die Praxis der Stammzellforschung. Ebenfalls angeboten werden Interviews oder Redebeiträge von bekannten Protagonisten der Bioethikdebatte, die sich in der Vergangenheit auf die eine oder andere Seite geschlagen haben. Zu Stammzellen äußern sich unter anderem Gerhard Schröder, Johannes Rau, Joachim Kardinal Meisner und der Neuropathologe Otmar Wiestler. Abgesehen von der am Spielende zu treffenden Grundsatzentscheidung, zum Beispiel für oder gegen die Bestellung des Parkinsonmedikaments, hat der Spieler auch die Möglichkeit, die von den Meinungsbildnern vorgebrachten Argumente zu bewerten, sie zu akzeptieren oder zurück zu weisen.
Überraschung: Die Mehrheit ist zwar pro Stammzelle, aber kontra Pharmakogenomik
Bei gen.ethix handelt es sich um einen höchst angenehmen Kontrapunkt zur aktuellen Bioethikdebatte, die bekanntlich überwiegend in den großen Feuilletons ausgetragen wird. Es geht bei dem Spiel nicht darum, bioethische Argumente zu konsumieren oder sie möglichst geschickt darzustellen. Vielmehr wird von dem Spieler verlangt, sich in konkreten Situationen aktiv zu positionieren. Ethisches Theoretisieren, viele nennen es auch Rumgelaber, wird damit fast unmöglich gemacht. Besonders interessant ist, dass die eigene Position nach dem Spiel nicht verloren geht, sondern anonym in eine Datenbank einfließt. Diese Memothek gibt eine Art Stimmungsbild wieder, an dem die scheinbare Position der medialen Öffentlichkeit gemessen werden kann. Dass dieser Vergleich höchst erhellend sein kann, haben in den letzten Monaten mehrere Umfragen gezeigt. Darin war die Bevölkerung weit weniger skeptisch gegenüber den Methoden der modernen Biomedizin als angenommen. Anders ausgedrückt: Bei der Abwägung der Werte kommt die Mehrheit der Bevölkerung zumindest im Bereich Biomedizin oft zu anderen Ergebnissen als ihre Repräsentanten in Medien und Politik. Das deckt sich auch mit den aktuellen Zwischenergebnissen der Memothek: So spricht sich von denjenigen, die bisher die gen.ethix-Fälle durchgespielt haben, eine klare Mehrheit für die Bestellung des Parkinson-Medikaments aus, das mit Hilfe der embryonalen Stammzellforschung entwickelt wurde. Auch Tests auf unbehandelbare genetische Erkrankungen, die irgendwann in der Zukunft ausbrechen, werden von den meisten befürwortet. Umgekehrt wendet sich interessanterweise eine knappe Mehrheit dagegen, individuelle genetische Informationen auf einer Krankenversichertenkarte zu speichern und den behandelnden Ärzten zugänglich zu machen, obwohl der Versicherungstarif dadurch gesenkt würde. Fazit: Den Stammzellforschern scheint die Bevölkerung mehr zu trauen als den Krankenkassen.