Sind adulte Stammzellen ein neues, scharfes Schwert im Kampf gegen Herzinfarkt und chronische Herzschwäche? Oder sehen wir einen Schnellschuss ohne Sinn und Verstand? Auf der Jahrestagung der deutschen Kardiologen prallten die Meinungen aufeinander. Das Fazit: Die kardiologische Zelltherapie bleibt umstritten.
Betablocker, Statine, Hemmstoffe der Thrombozytenaggregation und Fibrinolytika, nicht zu vergessen das gute alte Aspirin® und natürlich der Herzkatheter: Der Köcher, aus dem sich Kardiologen bedienen können, wenn sie in der Notaufnahme einen Herzinfarktpatienten vor sich haben, ist bereits heute gut gefüllt. Doch nicht alle Kardiologen sind zufrieden mit dem Status quo: "Alles was wir tun, zielt darauf ab, aus noch vorhandenem Myokard das Beste heraus zu holen", sagt beispielsweise Professor Helmut Drexler von der Medizinischen Hochschule Hannover. Was bisher fehle, seien Therapien, die in der Lage sind, bereits verloren gegangenes Herzmuskelgewebe wieder zu regenerieren.
Stammzell-Kitt macht Pumpe fit
Drexler gehört zu denen, die genau diese Muskelregeneration mit Hilfe von adulten Stammzellen erreichen wollen. Die Idee: Werden nach einem Myokardinfarkt nicht nur die Blutgefäße wieder eröffnet, sondern anschließend auch noch Stammzellen ins Herz gebracht, dann sollte der beim Infarkt zwangsläufig entstandene Gewebedefekt umso besser wieder ausheilen. Mehrere Kliniken in Deutschland, darunter Drexlers eigene, fanden diesen Gedanken so überzeugend, dass sie die adulten Stammzellen relativ rasch aus dem Labor in die klinische Anwendung brachten. Es wurden kleinere klinische Studien durchgeführt, die vielversprechende Ergebnisse zeigten, auch wenn die Untersuchungen bis heute nicht allen Kriterien der evidenzbasierten Medizin genügen. Maßstab für Erfolg oder Misserfolg ist dabei in der Regel die linksventrikuläre Pumpfunktion, also die Auswurfleistung des Herzens. In der randomisierten BOOST-Studie konnten Drexler und seine Kollegen zeigen, dass bei jenen dreißig Herzinfarktpatienten, die einige Tage nach der obligaten Katheterbehandlung einen erneuten Herzkatheter zur Stammzellinfusion erhielten, die linksventrikuläre Pumpfunktion nach einem halben Jahr signifikant besser war als in der Kontrollgruppe, in der die Patienten eine optimale Standardtherapie erhielten. Eingesetzt wurden Stammzellen aus dem Knochenmark, die mittels Herzkatheter direkt in die Herzkranzgefäße geleitet wurden. Die Kontrolle der Pumpfunktion erfolgte per Magnetresonanztomografie. "Die Stammzelltherapie brachte in der BOOST-Studie einen zusätzlichen Funktionsgewinn von über sechs Prozentpunkten", so Drexler auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie in Mannheim. Wenn man berücksichtige, dass der Vorteil einer Ballondilatation gegenüber einer Lysetherapie im Bereich von zwei bis drei Prozent liege, dann sei dieser zusätzliche Nutzen zum Funktionsgewinn durch die PTCA eine ganze Menge, wie Drexler betonte. Auch Professor Andreas Zeiher aus Frankfurt am Main hat in einer ähnlich konzipierten Studie Ähnliches beobachtet, wobei in Frankfurt außer Knochenmarksstammzellen auch so genannte Vorläuferzellen eingesetzt werden, die aus dem peripheren Blut gewonnen werden.
Es ist nicht alles Gold was glänzt
Trotz dieser ersten Erfolge bezeichnen Kollegen die Zelltherapeuten gelegentlich als Cowboys. Der Vorwurf gründet sich unter anderem darauf, dass es für das, was am Herzen nach der Infusion von Stammzellen passiert oder passieren könnte, bisher allenfalls Hypothesen gibt. "Inwieweit das initiale Konzept der Transdifferenzierung wirklich trägt, ist offen", sagt etwa Professor Hans Reiner Figulla von der Medizinischen Klinik der Universität Jena. Bei der Transdifferenzierung sollten sich die infundierten Stammzellen vor Ort in Herzmuskelzellen umwandeln und so die verloren gegangenen Zellen ersetzen. Für wahrscheinlicher hält Figulla eine andere Erklärung, nach der die Stammzellen vor allem über "Software" wirken, die sie mitbringen, nämlich Botenstoffe, die im Herzen die Zellvermehrung und die Blutgefäßbildung anregen und die Proliferation von Bindegewebe hemmen. Der Skeptiker Figulla hält auch die Diskussion um das optimale Verfahren einer Zelltherapie für längst noch nicht abgeschlossen. Er selbst hat die Katheterinfusion von Stammzellen wegen Erfolglosigkeit verlassen und setzt stattdessen auf eine Art simulierte Zelltherapie. Dabei werden zwei Tage nach der Akutrekanalisation nicht Stammzellen, sondern verschiedene Botenstoffe appliziert, was, so die Hoffnung, zirkulierende Zellen in Richtung des verletzten Herzmuskelgewebes umleitet. Dass die Diskussion weiter geführt werden sollte, zeigen auch die in Mannheim als Poster präsentierten 18-Monatsdaten von Drexlers BOOST-Studie. Sie fielen etwas schwächer aus als die Daten nach einem halben Jahr. Zwar war in der Stammzellgruppe weiterhin eine gegenüber dem Ausgangswert um im Mittel 6,1 Prozentpunkte bessere Auswurfleistung nachweisbar. Der Unterschied gegenüber der Gruppe mit Standardtherapie war jedoch statistisch nicht mehr signifikant. Komplikation gab es allerdings auch keine, sodass mittlerweile zumindest von einem sicheren Verfahren ausgegangen werden darf.
Große Studien sollen es richten
Bessere Daten sollen jetzt größere Studien mit einigen hundert Patienten und härteren Studienbedingungen bringen. Unter dem Namen REPAIR AMI läuft in Frankfurt bereits ein derartiges Projekt. Und auch in Hannover soll demnächst eine entsprechende Untersuchung starten. Deutschlands Stammzellkardiologen sehen sich damit auch international gut platziert: In den USA geht bereits heute das meiste des für die therapeutisch-kardiologische Forschung aufgewandten Fördergelds in die Stammzellforschung.