Hinhaltetaktik bei der PET, gerichtliches Gezerre um Therapieempfehlungen zu Clopidogrel - der "Gemeinsame Bundesausschuss", das mächtigste Gremium der Selbstverwaltung, gerät zunehmend ins Visier der kritischen Öffentlichkeit. Die Vorwürfe: Innovationen werden ausgebremst. Entscheidungen fallen ohne Transparenz in den Hinterzimmern der Macht.
Als der ehemalige "Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen" im Rahmen der Neugestaltung der Instanzen durch das GKV-Modernisierungsgesetz den neuen Namen "Gemeinsamer Bundesausschuss" erhielt, da wurde diese äußerliche Veränderung der interessierten Öffentlichkeit als Zeichen eines Philosophiewandels verkauft. Das Gremium, das entscheidet, welche Therapien oder diagnostischen Prozeduren von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden und welche nicht, sollte zu einem Hort der Transparenz umgebaut werden. Patientenvertreter beispielsweise sitzen seither mit am Tisch, haben allerdings nicht das Recht, eigene Anträge zu stellen.
Nur Deutschland sperrt sich gegen die PET-Erstattung
Mittlerweile sieht es so aus als habe das Projekt Transparenz zumindest auf der Baustelle "Gemeinsamer Bundesausschuss" (GBA) etwas an Elan eingebüßt. Zwar wurde eine Internetseite aufgesetzt, auf der GBA-Beschlüsse abgerufen werden können und aktuell behandelte Themen aufgezählt werden. Informationen zu laufenden Bewertungsprozessen aber sind nicht nur für Journalisten schwer bis gar nicht zu bekommen. Eines der pikantesten Beispiele ist der Umgang mit der Positronenemissionstomographie (PET) beziehungsweise mit der PET/CT, also der Kombination einer PET-Untersuchung mit einer Computertomographie. Für eine Reihe von onkologischen Indikationen, darunter das Staging des Mammakarzinoms, das nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom und Lymphome, werden diese Untersuchungen in praktisch allen westlichen Industrienationen von den Kostenträgern erstattet. Ausnahme ist Deutschland, wo es noch immer keine erstattungsfähige PET-Indikation gibt. Der Grund: Beim GBA liegt seit fast zwei Jahren ein Antrag auf Erstattung der PET-Untersuchung im stationären Bereich, der noch immer nicht beschieden wurde. Ein Antrag auf Erstattung der PET im ambulanten Bereich war zwar im Mai 2002 abgeschmettert worden. Allerdings ging es damals um andere Indikationen als heute, weil die arzneimittelrechtliche Zulassung der PET für die heute weltweit etablierten Indikationen damals noch nicht vorlag.
Uraltstudie als Feigenblatt für Untätigkeit
Warum drückt sich der GBA, der bei anderen Entscheidungen mitunter wesentlich schneller agiert, beim Thema PET so hartnäckig um eine Entscheidung? Wer diese Frage an die Pressestelle des GBA richtet, erhält keine Antwort. Bundestagsabgeordneten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die dieselbe Frage im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestags stellten, wurde von Seiten des GBA beschieden, man warte noch auf eine Studie der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Bei dieser Studie handelt es sich keineswegs um eine klinische Studie, sondern offenbar um einen an fünf Zentren angesiedelten Vergleich der kombinierten PET/CT-Diagnostik mit der getrennten Anwendung von PET- und CT-Geräten bei anschließender Fusion der Daten. Letzteres ist billiger als die Kombination, weswegen die DFG zeitweilig ein Moratorium für die Förderung von Forschungsarbeiten mit den drei Millionen Euro teuren PET/CT-Geräten ausgerufen hatte. Dieses Moratorium wurde aber durch die DFG mit einer öffentlichen Stellungnahme im Dezember 2004 gekippt, und zwar mit der Begründung, dass der Trend in Richtung kombinierter PET/CT nicht aufzuhalten sei. Tatsächlich sind weltweit weit über neunzig Prozent der neu aufgebauten PET-Geräte PET/CT-Geräte. Aus lauter Sorge vor einer postulierten Kostenexplosion, für die es aus anderen Ländern bisher keinen Anhalt gibt, wartet der GBA also auf den Abschluss einer Untersuchung, die von ihrem Initiator, der DFG, längst als überholt angesehen wird. Mit hinein schwingt die Sorge um ein Wiederaufflammen der Diskussion um eine Erstattung auch der ambulanten PET, sollte der Antrag auf Erstattung im stationären Bereich positiv beschieden werden. Denn eigentlich gehört die PET als Früherkennungsuntersuchung in die ambulante Domäne. Während die Funktionäre taktieren, legen Patienten tausend Euro für eine oft medizinisch sinnvolle Diagnostik auf den Tisch. Und Ärzte und Kliniken sponsorn mit den Einnahmen von Privatpatienten den Einsatz der PET auch bei ausgewählten GKV-Patienten, denen die Untersuchung nicht vorenthalten werden kann.
Nicht einmal Anwälte kommen an aktuelle Informationen
Das Thema PET ist nicht der einzige Bereich, wo der GBA ein Transparenzproblem hat. Diskussionen gibt es derzeit auch um eine im Bundesanzeiger veröffentlichte Therapieempfehlung zum Einsatz von Clopidogrel bei akutem Koronarsyndrom und in der kardiovaskulären Sekundärprophylaxe, die auf den 15. Juni 2004 datiert. Clopidogrel-Hersteller Sanofi-Aventis hatte dagegen geklagt und Ende Januar 2005 vom Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in zweiter Instanz Recht bekommen. Eine Revision vor dem Bundessozialgericht wurde zugelassen. Auch hier geht es letztlich um die Frage, wie medizinische Empfehlungen und Erstattungsentscheidungen des GBA zustande kommen und in wie weit es dem GBA zukommt, sich gegen die Mehrheit der jeweils zuständigen medizinischen Fachgesellschaften zu stellen. Der Punkt, der den Anwälten von Sanofi-Aventis besonders aufstieß: Nicht einmal ihnen war es während des zweiten Prozesses möglich, die jeweils aktuelle Version der nach dem ersten Urteil gegen den GBA abgeänderten Therapieentscheidung zu Gesicht zu bekommen. Unabhängig davon, wie man zu dem konkreten Inhalt der besagten Therapieempfehlung steht, die auf eine Einschränkung der Verschreibung von Clopidogrel zielt, zeigt diese Episode deutlich, wie Entscheidungen, die jeden GKV-Versicherten unmittelbar angehen, in Hinterzimmern getroffen werden, ohne dass die Entscheidungsprozesse für die Öffentlichkeit nachvollziehbar sind.