Sie ist das Darling der biomedizinischen Forschung. Jetzt macht sich die RNA-Interferenz auf den Weg in Richtung klinische Anwendung. Das Ziel: Den Zellkern zum Schweigen zu bringen, zum Beispiel durch die direkte Injektion von RNA-Molekülen ins menschliche Auge.
Schon richtig: Wenn sie nicht alle paar Jahre eine neue therapeutische Wunderwaffe ausrufen dürfen, dann werden moderne Biomediziner traurig, und die Medien zappeln unruhig. Mit der RNA-Interferenz steht jetzt wieder ein großer Hoffnungsträger in den Startlöchern. Das Konzept: Kurze, doppelsträngige RNA-Moleküle, so genannte siRNA, bringen gezielt bestimmte Gene zum Schweigen, indem sie die Genabschriften zerstören, die aus dem Zellkern kommen. Nachdem diese neue Technik in den letzten Jahren die Labors der Molekularbiologen im Sturm genommen hat, beginnen jetzt klinische Studien, die untersuchen, ob sich die kleinen Genschnipsel auch zum Heilen eignen. Eingesetzt werden könnten sie immer dann ,wenn bei einer Erkrankung bestimmte Gene deutlich aktiver sind, als sie es normalerweise wären, also zum Beispiel bei Tumorerkrankungen, aber auch bei degenerativen Prozessen wie Parkinson oder Chorea Huntington.
Erste klinische Studien: Amerikaner haben RNA im Auge
"Anders als bei bisherigen Versuchen mit RNA-Therapien aktivieren siRNA-Moleküle Eiweißkomplexe in der Zelle und binden nicht selbst an die Abschriften der Gene", so Professor Joachim Engels von der Universität Frankfurt im Gespräch mit dem DocCheck-Newsletter. Unproblematisch ist das trotzdem nicht: Ähnlich wie Gentherapeuten stehen RNA-Interferenzforscher vor dem Problem, wie die Nukleinsäuren am besten dahin zu bringen sind, wo sie wirken, also direkt in die jeweils pathologisch veränderten Zellen hinein. Bei systemischer Applikation wird "nackte" RNA nach einer Injektion in die Blutbahn zügig abgebaut. Die ersten beiden klinischen Studien, die jetzt mit RNA-Interferenz-Technik laufen, verschreiben sich deswegen der Lokaltherapie, wo dieses Problem nicht auftritt. So testet die in Boulder im US-Bundesstaat Colorado beheimatete Firma Sirna ein siRNA-Molekül bei Patienten mit der ungünstigen "nassen" Form der altersabhängigen Makuladegeneration (AMD). Die nasse AMD ist die häufigste Ursache von Blindheit in Industriestaaten. Das Molekül mit dem Namen Sirna-027 soll bei insgesamt 25 Patienten direkt in den Glaskörper des Auges gespritzt werden. Es wurde so konzipiert, dass es das Gen für den Rezeptor des endothelialen Wachstumsfaktor VEGF zum Schweigen bringt. VEGF sorgt für überschießendes Gefäßwachstum an der Netzhaut von Patienten mit nasser AMD. Eine Blockade könnte den schicksalhaften Verlauf der Krankheit vielleicht aufhalten. Ein in Philadelphia ansässiger Konkurrent von Sirna, die Firma Acuity, hatte eine ähnliche Idee und hat parallel ebenfalls eine Phase-I-Studie bei Patienten mit AMD begonnen.
Huckepack gehts auf dem Cholesterin-Trittbrett zur Leber
Wer bei der RNA-Interferenz über die Lokaltherapie hinaus kommen will, der muss Maßnahmen treffen, wie die kleinen RNA-Moleküle so stabilisiert werden können, dass sie auf ihrem Weg durch den Körper nicht zerlegt werden. Außerdem sollten sie auch noch genau dort ankommen, wo sie hin sollen und nirgends sonst. Eine Methode, das zu erreichen, stammt direkt aus der Gentherapie: Genfähren, also etwa Viren, können mit siRNA beladen werden oder aber mit Genen, die vor Ort in der Zelle zur Produktion von spezifischer siRNA führen. So gibt es Arbeitsgruppen, die adenoassoziierte Viren als Träger einsetzen, um siRNA in Nervenzellen zu bekommen und so Patienten mit degenerativen Nervenerkrankungen zu behandeln. Die Wissenschaftlerin Beverly Davidson konnte kürzlich an der Universität Iowa zeigen, dass sich bei Mäusen mit spinozerebellärer Ataxie durch eine Behandlung mit siRNA-tragenden, adenoassoziierte Viren die motorische Koordination verbesserte. Wesentlich eleganter freilich ist eine Methode, über die Mitarbeiter der in Kulmbach ansässigen Firma Alnylam Europe in der Zeitschrift Nature berichteten: Sie koppelten siRNA an ganz normales Cholesterin. Ziel war es, das Gen für das Apolipoprotein B abzuschalten, um so das kardiovaskuläre Risiko zu vermindern. Dadurch, dass sie Cholesterin als RNA-Fähre verwendeten, stellten die Forscher sicher, dass die siRNA dorthin gelangte, wo das meiste Apolipoprotein B produziert wird, nämlich in die Leber. Bei Mäusen führte eine entsprechende Behandlung zu einem Abfall des Apo-B-Levels von etwa einem Drittel und des LDL-Cholesterins um etwa vierzig Prozent.
Alles nur kein "Antisense 2"
Professor Joachim Engels hat ebenfalls die Leber im Visier: Er will Gallensäurecarrier als Transportmoleküle nutzen. Engels Arbeitsgruppe ist Teil des frisch aus der Taufe gehobenen, europäischen RIGHT-Konsortiums, das die RNA-Interferenz in Richtung klinische Anwendung treiben soll. Es vereint 24 Forschungseinrichtungen und Unternehmen in Europa und wird von der EU mit 11 Millionen Euro gefördert. "Das Ziel von RIGHT sind explizit nicht klinische Studien", sagte Engels zum DocCheck-Newsletter. Vielmehr gehe es darum, die eingesetzten Nukleotide zu optimieren und sie im Tierversuch zu testen. "Für klinische Studien ist es in meinen Augen noch zu früh", so Engels. Bei einer anderen Form der RNA-Therapie haben Ärzte kürzlich erleben dürfen, was es heißt, wenn eine Anwendung am Menschen zu früh erfolgt: Die Bemühungen um eine (der RNA-Interferenz konzeptuell ähnliche) Behandlung mit (einsträngigen) Antisense-RNA-Molekülen haben durch den Schiffbruch des Präparats Genasense®, einem großen Hoffnungsträger der Onkologie, einen empfindlichen Rückschlag erlitten.