Eine Gesetzesänderung soll frischen Wind in die Rettungsfahrzeuge bringen: Vor Kurzem wurde das Notfallsanitätergesetz (NotSanG) verabschiedet. Doch bringen die Änderungen wirklich Verbesserungen für Rettungskräfte und die Erstversorgung?
Vor fast 35 Jahre war es eine Sensation, als eine Rettungssanitäterverordnung verabschiedet wurde. Die Praxis zeigte, dass eine Ausbildung von 3 Monaten den Anforderungen der präklinischen Notfallmedizin nicht gerecht wurde. Im Jahr 1989 wurde das Rettungsassistentengesetz verabschiedet. Die Ausbildung in der Berufsfachschule, der Klinik und der Rettungswache dauert zwei Jahre. Danach darf der Rettungsassistent, der zum medizinischen Hilfspersonal gehört, unter der Voraussetzung der Notkompetenz Defibrillieren, 6 Medikamente verabreichen, Zugänge legen und Intubieren. Eine Medizinische Fachangestellte (MFA), ein Koch und eine Friseurin lernen ihr Handwerk drei Jahre. Notarztmangel Die stetig zurückgehende Zahl der Notärzte führt, gerade in ländlichen Bereichen, zu Versorgungslücken. Nicht selten kommt der Rettungsassistent in Zugzwang: der Patient mit der offenen Sprunggelenkfraktur hat starke Schmerzen. Der Notarzt braucht noch 25 Minuten, in die Klinik dauert es genauso lange. Darf der Rettungsassistent nun Analgetika verabreichen? Einfache Frage, keine rechtlich geregelte Antwort. Rettungsdienst ist Ländersache und wird dann noch vom Ärztlichen Leiter Rettungsdienst unterschiedlich ausgelegt. In einigen Landkreisen darf das Rettungsteam nahezu keine Medikamente geben, in anderen wird mit Morphin, Ketanest und Benzodiazepinen hantiert. Nur eine Empfehlung der Bundesärztekammer schlägt Medikamente und Maßnahmen vor, keine Verordnung oder gar ein Gesetz bieten dem nichtärztlichen Rettungsteam Handlungssicherheit. Gerechtfertigter Notstand und die Garantenstellung geben trügerische Sicherheit. Nicht selten haben Notärzte Rettungsassistenten verklagt, weil sie ihre Kompetenzen überschritten haben. Notfallsanitäter ante portas Damit soll nun Schluss sein: Am 22. März 2013 wurde das Notfallsanitätergesetz (NotSanG) verabschiedet. Der "Superretter" lernt drei Jahre, erfährt etwas über menschliche Kompetenz, über Lernfelder, Teamfähigkeit, Medikamente und Maßnahmen. Nach § 4 II Nr 1c NotSanG ist der Notfallsanitäter verpflichtet, invasive Maßnahmen auszuführen. "Bundesweit gehen jeden Werktag rund 35.000 rettungsdienstliche Hilfeersuchen in den Rettungsleitstellen ein. Oft geht es dabei um eine lebensbedrohliche Situation, in der schnelle Hilfe wichtig ist. Eine Modernisierung und inhaltliche Aufwertung des Berufs des Rettungsassistenten und nun Notfallsanitäters war lange überfällig. Damit sichern wir eine qualifizierte notfallmedizinische Versorgung für die Menschen in Deutschland", so äußert sich Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr zu "seinem" Gesetz. Das sind die Neuerungen im Gesetz:
Union und FDP sehen im Notfallsanitätergesetz eine "eine umfassende Modernisierung der Rettungsassistentenausbildung". "Rettungskräfte sind die ersten am Unfallort und retten durch ihren Einsatz Menschenleben. In den letzten Jahren haben sich die Anforderungen an sie stark gewandelt", erläutert der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Jens Spahn. Viele Verbände gegen "Notarzt-light" Viele Ärzteverbände sprachen sich im Vorfeld mit Nachdruck gegen das Gesetz in der Form aus. Die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie kritisierte die Gesetzesvorlage scharf. "Der Gesundheitsausschuss empfiehlt, dem Entwurf ohne Änderungen zuzustimmen, obwohl ihm die gravierenden Mängel des Gesetzentwurfs verdeutlicht wurden. Rettungsdienstträger und verantwortliche Ministerien scheuen sich, entsprechende Zahlen und Fakten öffentlich darzustellen. Stattdessen soll der Mangel an finanziellen Ressourcen durch eine 'Notarzt-Light-Version' behoben werden“, so Prof. Dr. Hartmut Siebert, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) gegenüber dem Ärzteblatt im März diesen Jahres. Rückendeckung bekommt Siebert von der Bundesärztekammer. Diese sieht eine "viel zu weitgehende Freigabe" an ärztlichen Maßnahmen. Dies führe zu einer deutlichen Überforderung der Berufsgruppe. "Durch die beabsichtigte unbegrenzte Übergabe der ärztlichen Maßnahmen an Notfallsanitäterinnen und -sanitäter, die durch eine dreijährige Ausbildung nicht annäherungsweise auf die Folgenabschätzung ihres Handelns, insbesondere auf die Beherrschung der möglichen Komplikationen, vorbereitet werden, ist eine Verschlechterung der notfallmedizinischen Versorgung und eine Verminderung der Patientensicherheit zu befürchten", erklärte die BÄK in einer Stellungnahme. Keine Regelkompetenz Für viele Berufe existieren bundeseinheitlich Currikula, Gesetze oder Verordnungen regeln klar die Pflichten und Kompetenzen. Dieser Missstand wurde seit Jahren als großes Manko des Rettungsassistentengesetztes angeprangert. Jetzt ist die Hoffnung gestorben, dass das langersehnte Notfallsanitätergesetz diese Lücke schließt. Es werden weder bestimmte Maßnahmen oder Medikamente verboten noch erlaubt. Die Verantwortung wird nicht einmal auf die Länder, Gemeinden oder Kommunen abgeschoben, sondern auf eine personelle Institution, die noch nicht mal in allen Bundesländern existiert: den Ärztliche Leiter Rettungsdienst (ÄLRD). Im § 4 Abs. 2 des NotSanG heißt es, die Ausbildung soll dazu befähigen "eigenständiges Durchführen von heilkundlichen Maßnahmen, die vom Ärztlichen Leiter Rettungsdienst oder entsprechend verantwortlichen Ärztinnen oder Ärzten bei bestimmten notfallmedizinischen Zustandsbildern und –situationen standardmäßig vorgegeben, überprüft und verantwortet werden". Laut Gesetzt sollen die Maßnahmen auch "eigenverantwortlich" durchgeführt werden. Der Bundesverband der Ärztlichen Leiter Rettungsdienst sieht dies in einer Stellungnahme skeptisch: "In dem Fall des § 4 Abs. 2 Nr. 1 c kann der dort eingeräumte Spielraum in szenarienhaften Betrachtungen jedoch auch sehr weitgehende invasive Maßnahmen begründen, die in dem gesteckten Rahmen jedoch entgegen der expliziten Absicht des Gesetzgebers, zu einem neuen Bereich der Heilkunde genutzt werden kann. Die Folgen für das gesamte Gesundheitssystem sind derzeit weder absehbar noch in dem Entwurf thematisiert". Die Notfallsanitäterin und der Notfallsanitäter sind befugt, bei der Durchführung von Maßnahmen im Notfalleinsatz im Sinne des § 4 Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe c die Heilkunde bis zum Eintreffen der Notärztin oder des Notarztes oder bis zu dem Beginn einer weiteren ärztlichen Versorgung auszuüben. Träger müssen Kosten tragen Pro Jahr wird die Ausbildung der Retter etwa 42 Millionen Euro betragen, 90 Prozent davon sollen die Krankenkassen tragen, so sieht es das Gesetz vor. "Diesen Mehrausgaben stehen erhebliche, in der Summe nicht quantifizierbare Einspareffekte gegenüber, da durch die verbesserte Qualifizierung dieser Berufsgruppe Einsparpotentiale bei Krankenhausbehandlungen und weitere Einsparungen durch eine Vermeidung unnötiger Notarzteinsatze zu erwarten sind" - davon geht Gesundheitsminister Bahr aus. Eine Milchmädchenrechnung? Das wird sich zeigen. Aufstieg nur mit Prüfung Ist der Notfallsanitäter erst einmal etabliert, ist eine Ausbildung zum Rettungsassistenten nach der Übergangsphase nicht mehr möglich. Je nach Berufserfahrung ist es möglich, zum Notfallsanitäter aufzusteigen. Eine "Adelung" per Stempel wie vom Rettungssanitäter zum Assistenten wird es definitiv nicht geben. Mindestens muss eine Prüfung abgelegt werden, bei Berufsanfängern ist eine Nachschulung von bis zu einem Jahr vorgesehen. Positiv ist, dass das neue Gesetz eine Prüfung am Ende der Ausbildung vorsieht und nicht wie früher bereits vor dem Praktikum. Ende gut, Alles gut? Die grundlegende Modifizierung der Berufsausbildung des nichtärztlichen Rettungsdienstpersonals war längst überfällig. Das größte Manko ist jedoch geblieben: die Notkompetenz wurde nicht in eine Regelkompetenz umgewandelt und ein bundeseinheitlicher Kompetenzkatalog fehlt. Sehr klar hat sich zu diesem Punkt Ver.di geäußert: "Hier werden staatliche Aufgaben an eine Privatperson abgegeben, die nicht verpflichtend über berufspädagogische Kompetenzen verfügt. Ziel eines Berufszulassungsgesetzes ist es, einen einheitlichen Standard, der in der Ausbildung zu erwerbenden Kompetenzen zu sichern. Ver.di lehnt ein bundesweit unterschiedliches Kompetenzprofil der Notfallsanitäter ab. In anderen Ländern wie beispielsweise den USA und der Schweiz existieren klare Algorithmen und Kompetenzkataloge für das "Sanitätspersonal". Dies wäre auch in Deutschland wünschenswert, damit der NotSan zum handlungskompetenten Assistenten des Notarztes wird.