Forscher entdeckten, dass einige Varianten der Gene für die Blutgerinnung das Darmkrebsrisiko beeinflussen. Sie fanden für Träger einer Genvariante des Gerinnungsfaktors V ein sechsfach höheres Darmkrebsrisiko als bei Menschen, deren ohne diese Abweichung.
Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts erkannte der französischer Arzt Armand Trousseau einen Zusammenhang zwischen Krebs und Thrombosen, den oftmals gefährlichen Blutgerinnseln, die zum Venenverschluss führen können. Heute weiß man, dass eine Krebserkrankung und deren Behandlung die Fließeigenschaften des Blutes verändern und so die Gerinnselbildung fördern können. Jedoch treten die Gerinnsel nicht nur als „Nebenwirkung“ und Folge einer Krebserkrankung auf, sondern umgekehrt kann auch eine gesteigerte Neigung zur Blutgerinnung mit einem erhöhten Krebsrisiko verbunden sein.
Bei der Blutgerinnung wirken rund zwölf verschiedene Bluteiweiße, die Gerinnungsfaktoren, koordiniert zusammen. Ebenso wie die Bluterkrankheit (Hämophilie, mangelnde Blutgerinnung) erblich ist, beeinflussen die Gene auch die Neigung zu verstärkter Blutgerinnung (Thrombophilie): In der Bevölkerung existieren gut untersuchte Genvarianten einiger der Gerinnungsfaktoren, die mit verstärkter bzw. verringerter Gerinnungsneigung einhergehen. Zwischen zwei bis fünf Prozent aller Menschen tragen solche genetische Abweichungen.
Im Deutschen Krebsforschungszentrum untersuchten Wissenschaftler um Professor Dr. Hermann Brenner sechs Genvarianten verschiedener Gerinnungsfaktoren auf einen Zusammenhang mit dem Darmkrebsrisiko. In einer großen Studie analysierten sie das Auftreten dieser sechs Varianten an etwa 1800 Darmkrebspatienten und ebenso vielen gesunden Kontrollpersonen.
Faktor V Leiden
Den auffälligsten Zusammenhang fanden die Wissenschaftler für eine Variante, die das Thromboserisiko stark erhöht und unter der Bezeichnung Faktor V Leiden (FVL) bekannt ist: Studienteilnehmer, die diese Erbgutvariante auf beiden Kopien ihres Chromosoms 1 tragen, hatten ein sechs mal so hohes Darmkrebsrisiko wie Teilnehmer, die zweimal die „Standardvariante“ des Faktors V tragen. Wies nur eine der beiden Kopien des Chromosoms 1 die FVL-Variante auf, war das Darmkrebsrisiko nicht erhöht.
Einen weiteren Zusammenhang mit der Darmkrebshäufigkeit entdeckten die Forscher für eine bestimmte Genvariante des Gerinnungsfaktors XIII: Menschen mit dieser Mutation erkranken etwas seltener an Venenthrombosen als Träger der Faktor XIII-Standardversion. Gleichzeitig, so zeigten die DKFZ-Forscher nun, haben sie auch ein um 15 Prozent geringeres Darmkrebsrisiko. Für die übrigen vier untersuchten Genvarianten fanden die Wissenschaftler keinen Zusammenhang mit dem Darmkrebsrisiko.
Dass Blutgerinnung und Krebsentstehung zusammenhängen, ist bereits bekannt. So bewirkt das Zusammenspiel aller Gerinnungsfaktoren, dass aktives Thrombin entsteht, welches wiederum das blutstillende Fibrin aktiviert. Gleichzeitig trägt Thrombin aber auch zur Bildung neuer Blutgefäße bei und kann die extrazelluläre Matrix, also den Kitt, der die Zellen zusammenhält, auflösen. Dadurch könnte es Thrombin den Krebszellen erleichtern, in umgebendes Gewebe einzudringen.
„Es ist interessant, dass nicht jede Genvariante, die die Gerinnungsneigung erhöht, automatisch auch das Darmkrebsrisiko steigert. Außerdem macht es einen Unterschied, ob die Genvariante auf beiden Chromosomen vorliegt oder nur auf einem. Deshalb müssen wir genau analysieren, welche Gerinnungsfaktoren sich wie auf das Krebsrisiko auswirken“, erklärt Studienleiter Hermann Brenner. Die Kenntnis dieser Zusammenhänge ist die erste Voraussetzung dafür herauszufinden, ob und bei wem Medikamente, die auf die Blutgerinnung wirken, Darmkrebs vorbeugen können.
Originalpublikation: Clotting Factor Gene Polymorphisms and Colorectal Cancer Risk Carla Y. Vossen et al.; Journal of Clinical Oncology, DOI: 10.1200/JCO.2010.31.8873; 2011