Das Umweltbundesamt spricht von den niedrigsten Feinstaub-Messwerten. Ihre Euphorie hält sich allerdings in Grenzen: Die Belastung mit Stickstoffdioxid bleibt auf hohem Niveau. Aus medizinischer Sicht sind die Grenzwerte umstritten.
Ende Januar veröffentlichte Andrea Minkos vom Umweltbundesamt den Bericht zur Luftqualität 2016. Grund zum Aufatmen besteht beim Thema Feinstaub (PM10): Nur eine Messstelle, nämlich Stuttgart-Neckartor, überschritt die zulässigen Tagesmittelwerte häufiger als vom Gesetzgeber erlaubt. Die Grenze liegt beim Tagesmittelwert von 50 µg/m³ an 35 Tagen. 377 Stationen meldeten niedrigere Zahlen. Damit ist 2016 das Jahr mit der niedrigsten Feinstaubbelastung seit dem Millennium. Ob der Erfolg tatsächlich auf Maßnahmen zur Luftreinhaltung zurückzuführen ist, bleibt offen. Auch das Wetter hat einen Beitrag geleistet, um Partikel abzutransportieren.
Beim Thema Stickstoffdioxid sehen UBA-Experten deutlich schwärzer. Rund 57 Prozent aller verkehrsnahen Messstationen hatten den Grenzwert von 40 µg/m³ im Jahresmittel überschritten. Langfristige Daten zeigen nur einen leicht abnehmenden Trend. Die flächendeckende Einhaltung gesetzlich vorgeschriebener Grenzwerte ist in weite Ferne gerückt. „Seit Jahrzehnten gefährdet Stickstoffdioxid unsere Gesundheit“, sagt Maria Krautzberger, Präsidentin des UBA. „Schuld sind in den Städten vor allem alte Diesel-Autos.“ Das International Council on Clean Transportation (ICCT) gibt in einer aktuellen Studie auch Neuwagen schlechte Noten. Unter realen Bedingungen stoßen selbst Diesel-PKW der Schadstoffklasse Euro 6 mehr Stickoxide aus als neue Lastwagen oder Busse. Die NOx-Emissionen der betrachteten Personenwagen sei „sogar um einen Faktor zehn höher als die vergleichbaren Werte für Nutzfahrzeuge“, schreibt ICCT-Studienautorin Rachel Muncrief. Bei Nutzfahrzeugen sind bereits seit 2013 mobile Messgeräte Pflicht, daher die gegenüber den oft präparierten Labor-Pkw akkurateren Daten. Nicht nur Stickoxide stellen ein Problem in Städten dar. UBA-Forscher kritisieren, dass selbst im wechselhaften Sommer 2016 rund 21 Prozent aller Messstationen über der Ozon-Obergrenze lagen. An lediglich 25 Tagen im Jahr darf der gemittelte Acht-Stunden-Wert von 120 µg/m3 überschritten werden. Gearbeitet wird mit einem Drei-Jahres-Mittelwert. Dieser Trend wird sich laut UBA-Forschungsprojekt KLENOS (Klima Energie Ozon Staub) weiter fortsetzen. Wissenschaftler erwarten, dass es bis 2050 etwa 30 Prozent mehr Überschreitungstage geben wird. Sie raten, die Emission relevanter Verbindungen wie Stickstoffdioxid und Lösungsmittel einzuschränken – nicht ohne Grund.
Die gesundheitlichen Folgen aller Schadstoffe sind erheblich. Laut Schätzungen der Europäischen Umweltagentur EEA sterben allein in Europa mehr als eine halbe Million Menschen pro Jahr vorzeitig aufgrund der Luftverschmutzung. Weltweit rechnet die WHO mit sieben Millionen Opfern. Im Mittelpunkt stehen Schlaganfälle (34 Prozent), ischämische Herzerkrankungen (26 Prozent), chronisch-obstruktive Lungenerkrankungen (COPD; 11 Prozent), Lungenkarzinome (6 Prozent) und akute Erkrankungen der unteren Atemwege (3 Prozent). Bei Wissenschaftlern sind Grenzwerte generell umstritten. Viele Experten gehen von einer linearen Dosis-Wirkungs-Beziehung aus. Das bedeutet, es gibt keine Untergrenze (kein No Observed Adverse Effect Level, NOAEL) für schädliche Effekte. Die WHO publiziert Richtwerte aufgrund wissenschaftlicher Daten. Rechtlich verbindlich sind die Empfehlungen aber nicht. Quelle: Science Media Center Aktuellstes Beispiel aus einer Vielzahl an Veröffentlichungen ist eine chinesische Metaanalyse. Tao Liu vom Provincial Institute of Public Health in Guangdong wertete 17 Studien aus. Insgesamt stellte er Daten von 108.000 Hypertonie-Patienten und 220.000 Kontrollen gegenüber. Er zeigt, dass unterschiedliche Moleküle den Blutdruck kurzfristig, aber auch langfristig erhöhen. Studien zum kurzfristigen Einfluss befassten sich vor allem mit Schwefeldioxid (Odds Ratio von 1,046 pro Anstieg um 10 µg/m3) und Feinstaub (PM2,5: 1,069, PM10: 1,024). Bei der langfristigen Exposition mit Stickstoffdioxid waren es 1,034 pro 10 µg/m3 und 1,054 für den gleichen Anstieg von PM10-Feinstaub. Der jeweilige Anstieg des Risikos war gering, aber statistisch signifikant. Ein Jahr früher zeigte Anoop Shah von der University of Edinburgh, dass Gase und Partikel kurzfristig zu mehr Herzinfarkten führen. Seine Metaanalyse basiert auf 2.748 Artikeln, von denen letztlich 94 berücksichtigt wurden. Als relatives Risiko (RR) gibt er für Kohlenmonoxid 1.015 pro 1 ppm, und für Stickstoffdioxid 1.014 pro 10 ppb an. Ähnliche Effekte fand der bei Feinstaub der Klasse PM2.5 (1.011 pro 10 μg/m3) und PM10 (1.003 per 10 µg/m3). Langzeiteffekte sind ebenfalls bekannt.
Damit ist – wie so oft – die Politik am Zuge. Alle relevanten Schadstoffe stehen mit dem Straßenverkehr in Zusammenhang. Fahrverbote sind nicht populär, schaffen jedoch schnell Abhilfe. Das hat Oslo Anfang 2017 gezeigt: Aufgrund einer Smogsituation wurden Dieselfahrzeuge kurzerhand ausgesperrt. Gerade beim Thema Feinstaub sind Verbrennungsmotoren aber nur ein Aspekt von vielen. Mehr und mehr kleine Partikel kommen beispielsweise auch aus privaten Kaminen, in denen Holzscheite verbrannt werden.