Was rauscht denn da? Ein Herz abzuhören ist zwar eine Kunst, aber keine, die sich nicht lernen ließe. Dass auch Computer dazu nicht zu blöd sind, haben jetzt amerikanische Ärzte demonstriert: Sie kuppelten ein elektronisches Stethoskop an ein neuronales Netz und schufen so den ersten elektrischen Kardiologen.
Dem Arzt bei der Diagnosefindung technische Krücken an die Hand zu geben, dieser Gedanke fasziniert insbesondere Softwareprogrammierer schon länger. Die Rede ist nicht von der längst technisierten Bildgebung, sondern von der klinischen Erstdiagnostik. Sie ist, glaubt man den Lehrbüchern der Inneren Medizin, ein im Wesentlichen auf der Anwendung von Algorithmen beruhender Vorgang, und als solcher müsste sie eigentlich automatisierbar - und damit perfektionierbar - sein. So weit die Theorie. Dass die Praxis da Hürden aufbauen kann, sieht man freilich schon an vergleichsweise banalen Dingen wie der automatischen EKG-Auswertung. Für den Anfänger sehr hilfreich, stößt diese diagnostische Krücke später schnell an ihre Grenzen, wobei sich an der Frage, ob die besten derartigen Geräte "schon ziemlich gut" oder "immer noch ziemlich schlecht" sind, die Geister scheiden.
Ein digitales Ohr am Puls der Kinder.
Trotzdem: Die Kardiologie als wahrscheinlich algorithmischste Disziplin der Inneren Medizin bleibt eine der liebsten Spielwiesen für die computergestützte Diagnostik, über deren neueste Schöpfung im Juni die Fachzeitschrift "Circulation" Bericht erstattete: Wir begrüßen den elektronischen Auskultator (DeGroff et al, Circulation 2001; 103; 2711 ff).Projektleiter Curt DeGroff und seine Kollegen von der Kinderklinik der Universität Colorado sowie von deren Institut für Maschinenbau haben es sich nicht leicht gemacht und ein Problem in Angriff genommen, dass auch erfahrenen Pädiatern Schwierigkeiten bereiten kann: die Herzgeräusche von Kindern. Bei der Mehrzahl der Kinder lassen sich mit dem Stethoskop über dem Herzen Geräusche auskultieren, die keinerlei Krankheitswert haben, zum Beispiel das sogenannte "Still"-Geräusch. Sie müssen aber von den seltenen pathologischen Geräuschen sicher unterschieden werden, da diese bei Kindern häufig operative Konsequenzen nach sich ziehen.Die Arbeitsgruppe um DeGroff wollte nun wissen, ob es möglich ist, die auskultatorische Sicherheit eines erfahrenen Pädiaters mit einem Computersystem zu erreichen oder sogar zu übertreffen. Sie benutzten dazu sogenannte neuronale Netze, die sie an ein elektronisches Stethoskop ankoppelten.
Wie lernt ein Computer auskultieren?
Neuronale Netze sind hochgradig verknüpfte Systeme digitaler "Neuronen", die typischerweise in Schichten angelegt sind. Es gibt eine INPUT-Schicht, eine OUTPUT-Schicht und eine oder mehrere Zwischenschichten. Solche Systeme sind "lernfähig", in dem - ganz ähnlich wie in natürlichen Nervensystemen - bestimmte Wege durch das Verknüpfungsgitter "gebahnt" werden können. Eine solche "Bahnung" geschieht durch den INPUT eines oder mehrerer Prototypen - in unserem Fall also durch bestimmte Herzgeräusche -, die nach erfolgter "Bahnung" wieder erkannt werden können, solange sie den Prototypen hinreichend ähnlich klingen.DeGroff hat nun neuronalen Netze mit kindlichen Herzgeräuschen gefüttert, die zuvor durch ein elektronisches Stethoskop aufgezeichnet worden waren. Insgesamt wurden die Herzgeräusche von 69 Kindern verwendet. Darunter waren 32 physiologische und 37 (durch eine echokardiographische Untersuchung verifizierte) pathologische Geräusche. Über Fourier-Transformationen wurden aus den Geräuschen jeweils Energiespektren unterschiedlicher Frequenzbreiten und unterschiedlicher spektraler Auflösung errechnet, die dann als INPUT in die neuronalen Netze flossen. Für jedes Herzgeräusch wurde ein neuronales Netz "angelernt", sodass am Ende also 69 Netze gemeinsam darüber "entschieden", ob ein "gehörter" Herzton pathologisch war oder nicht.(Eine schicke "Einführung in die Theorie neuronaler Netze" hat das Institut für Informatik der Universität Münster ins Netz gestellt.)
Je besser das Training, desto präziser die Diagnose
Die Ergebnisse waren eindrucksvoll: Wurden die Frequenzparameter bei der digitalen Transformation günstig gewählt, so erreichte das neuronale Netz-Orchester bei Geräuschen, die auch im "Training" verwendet worden waren, Sensitivitäten und Spezifitäten von je 100 Prozent: Pathologische und physiologische Geräusche konnten also mit hundertprozentiger Sicherheit auseinander gehalten werden. Doch auch wenn weniger als 69 Trainingsgeräusche verwendet wurden und die Untersucher die übrigen Geräusche als "unbekannte" nach absolviertem "Training" ins Rennen schickten - dies entspricht der Situation im praktischen Arztalltag - waren die Leistungen des elektronischen Auskultators überzeugend: "Gut trainierte" Krankheitsbilder, also solche, die im Trainingssatz häufig vorkamen (persistierender Duktus; Ventrikelseptumdefekte u.a.), wurden sicher erkannt. Lediglich bei im Trainingssatz unterrepräsentierten Krankheitsbildern wie Pulmonalstenosen und Vorhofseptumdefekten gab es noch Schwierigkeiten.
Kleine Hürden bleiben...
"Wenn eine entsprechend große Zahl an Trainingsgeräuschen vorliegt, wird das System einmal alle wichtigen pathologischen Geräusche sicher erkennen können", sind sich die Autoren der Circulation-Arbeit sicher. Ein paar Hürden gibt es freilich noch: So waren alle Kinder, die an der Studie teilnahmen, ausgesprochen kooperativ, sprich: ruhig. Wie ein elektrischer Kardiologe mit plärrenden Frequenzwundern umgeht, bleibt abzuwarten.