Übergewicht geht oft mit einer chronischen Entzündung einher, die das Risiko für Stoffwechselkrankheiten erhöht. Ernährungswissenschaftler zeigen nun, dass die Werte für verschiedene Entzündungsmarker unter einer pflanzenreichen Ernährung stark sanken.
Die meisten Deutschen essen zu viel Fleisch: 74 Prozent der Männer und 45 Prozent der Frauen überschreiten laut einer Untersuchung des Max Rubner-Instituts den Richtwert der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) von 300 bis 600 Gramm pro Woche. Der Verzehr von zu großen Mengen an Fleisch wird in Verbindung gebracht mit Übergewicht und einer Zunahme von chronischen Entzündungsprozessen, die das Risiko für Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Schlaganfälle erhöhen. Ein Forscherteam des Start-up-Lab Ernährung, Immunität und Metabolismus am Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam-Rehbrücke konnte nun zeigen, dass eine pflanzenbetonte Ernährung bei übergewichtigen Menschen die Werte mehrerer Entzündungsmarker senkt. Die Wissenschaftler um Krasimira Aleksandrova und Fabian Eichelmann werteten für ihre Meta-Analyse die Ergebnisse von 25 Interventionsstudien aus, in deren Rahmen die Effekte einer pflanzenbasierten Kost bei insgesamt 2.689 übergewichtigen Teilnehmern untersucht wurden. Wie sie in einem Artikel in der Fachzeitschrift Obesity Reviews berichten, könnten übergewichtige Menschen durch eine pflanzenbetonte Ernährung ihr Entzündungsmarker-Profil deutlich verbessern und ihr Risiko für chronische Erkrankungen potenziell erniedrigen. „Da in einzelnen Interventionsstudien die Teilnehmerzahlen in der Regel gering sind, ist die statistische Präzision oft eingeschränkt“, sagt Eichelmann. „Deshalb haben wir eine umfangreiche, systematische Literaturanalyse durchgeführt und die Ergebnisse aller relevanten Interventionsstudien erstmals zu einem Gesamtergebnis zusammengefasst. Damit lässt sich besser beurteilen, ob eine pflanzlich betonte Ernährungsweise der Entwicklung von chronischen Entzündungen entgegenwirkt.“
Dies sei eine wichtige Voraussetzung, um Empfehlungen aus den Studien abzuleiten, die helfen könnten, dass sich übergewichtige Menschen gesünder ernährten, so der Forscher. Denn eine übermäßige Kalorienzufuhr hat unmittelbare Auswirkungen auf die körpereigenen Fettdepots: Diese speichern nicht nur die überschüssige Energie aus der Nahrung, sondern setzen auch Botenstoffe frei. Da einige dieser Substanzen entzündliche Prozesse im Körper fördern, sind die Entzündungsmarker-Werte im Blut übergewichtiger Menschen häufig erhöht. Ein Zustand, der wiederum mit einem deutlich erhöhten Risiko für Stoffwechselkrankheiten einhergeht. Deshalb suchen Forscher und Mediziner nach wissenschaftlich basierten Ernährungsstrategien, welche die Gesundheit fördern und die dabei helfen, Übergewicht zu verlieren. „Es funktioniert einfach nicht, wenn man den betroffenen Menschen nur sagt, dass sie weniger kalorienreich essen sollen“, sagt Eichelmann. „Es ist wichtig, dass man ihnen eine Empfehlung in die Hand gibt, welche Ernährungsformen sich besonders gut für eine Gewichtsreduktion eignen beziehungsweise ihr Risiko für Folgeerkrankungen reduzieren.“ In Frage, so der Wissenschaftler, komme zum Beispiel eine pflanzenbetonte Kost, die sich hauptsächlich aus Lebensmitteln wie Gemüse, Getreide, Hülsenfrüchten und Obst zusammensetze. Zudem enthalte sie kein oder nur sehr wenig Fleisch, könne aber moderate Mengen an Eiern, Milchprodukten und Fisch mit einschließen.
In ihrer Meta-Analyse nahmen die Forscher um Eichelmann alle kontrollierten Interventionsstudien auf, in deren Rahmen die übergewichtigen, meist metabolisch kranken Teilnehmer als Interventions-Diät eine solche pflanzenbetonte Kost über einen Zeitraum von mindestens vier Wochen verzehren sollten. Die Teilnehmer der Kontrollgruppen hatten dagegen in der Regel eine normale Diät bekommen, die aber ähnlich viele Kalorien enthielt. Um den Erfolg der jeweiligen Intervention zu erfassen, waren in allen Studien im Blut der Teilnehmer verschiedene Entzündungsmarker (CRP, Interleukin-6, TNF-alpha, sICAM, Resistin, Leptin und Adiponektin) gemessen worden. „Uns interessierte nicht so sehr, ob ein Gewichtsverlust einen positiven Einfluss hatte, sondern vor allem, wie sich die unterschiedliche Zusammensetzung der Diäten auf die Entwicklung der Entzündungswerte bei den Teilnehmern auswirkte“, berichtet Eichelmann. Allerdings waren in den Studien nicht immer alle der ausgewählten Marker bestimmt worden. Die Anzahl schwankte zwischen 3 Studien bei Resistin und 24 Studien bei CRP, in denen die jeweiligen Entzündungsmarker bei den Teilnehmern gemessen worden waren. Als Eichelmann und seine Kollegen die Daten ihrer Untersuchung auswerteten, zeigte sich, dass unter einer pflanzenreichen Ernährung die Werte der Entzündungsmarker CRP und Interleukin-6 deutlich niedriger waren als unter einer Kontrolldiät. Auch bei sICAM konnten die Forscher einen gewissen Rückgang beobachten. Dagegen traten bei Resistin, Leptin und Adiponektin keine statistisch eindeutigen Auswirkungen im Vergleich beider Gruppen auf.
Mithilfe einer weiteren Analyse der Daten konnte das Team um Eichelmann weitgehend ausschließen, dass die Reduktion der Entzündungsmarker-Werte durch einen eventuell größerer Gewichtsverlust bei den Probanden mit pflanzenbetonter Ernährung verursacht worden war. Eichelmann vermutet deshalb, dass die pflanzlichen Bestandteile selbst die positiven Effekte bei den Probanden ausgelöst hatten. Allerdings kann er nicht sagen, welche Inhaltsstoffe der Pflanzen dafür verantwortlich gewesen sein könnten: „Vielleicht waren es spezielle entzündungshemmende Substanzen oder einfach die geänderte Zusammensetzung von ungesättigten und gesättigten Fettsäuren in der pflanzlichen Kost“, sagt Eichelmann. Für den Ernährungswissenschaftler geben die Ergebnisse der Meta-Analyse einen wichtigen Hinweis, wie sich mit einer Ernährungsform, die weniger Fleisch und mehr pflanzlichen Produkte enthält, das Risiko von entzündlichen Prozessen und dadurch verursachten Folgeerkrankungen senken lässt. „Es steht immer die Diskussion im Vordergrund, aus wie viel Fett und wie vielen Kohlenhydraten eine optimale Ernährung bestehen sollte, aber das ist wahrscheinlich nicht das einzige Problem. Wenn die Menschen in Deutschland jedoch endlich anfangen würden, mehr Obst und insbesondere Gemüse zu essen, wäre das schon einmal ein guter Anfang“, findet Eichelmann. Auch die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, so der Forscher, gingen schon jetzt in Richtung einer pflanzenbasierten Ernährung.
Unterstützung finden die Anhänger einer solchen Ernährungsform auch bei Medizinern: „Es gibt aus zahlreichen Studien relativ klare Ergebnisse, dass tierisches Eiweiß Entzündungen im Körper fördert“, sagt Andreas Michalsen, Chefarzt der Abteilung Naturheilkunde im Immanuel Krankenhaus Berlin und Inhaber der Stiftungsprofessur für klinische Naturheilkunde am Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité-Universitätsmedizin Berlin. „Auch enthalten Fleischprodukte mehr gesättigte Fettsäuren und mehr Omega-6-Fettsäuren als pflanzliche Lebensmittel. Diese Fettsäuren gelten als entzündungsfördernd im Gegensatz zu den entzündungshemmenden Omega-3-Fettsäuren, die besonders häufig in vielen pflanzlichen Ölen vorkommen.“ Auch Michalsen empfiehlt deshalb eine fleischarme Ernährung: „Fleisch einmal pro Woche, wie es unsere Großeltern gemacht haben, und ansonsten eine abwechslungsreiche Mischkost aus Getreideprodukten, Obst und viel Gemüse. Wer ganz auf tierische Nahrungsmittel verzichten möchte, sollte aber auf jeden Fall Vitamin B12 ergänzen.“ Eine stärker pflanzliche Ernährungsform, so der Mediziner, könne sich ebenfalls günstig auf das Mikrobiom im Darm auswirken. Viele Unverträglichkeitsreaktionen und chronische Entzündungen, an denen immer mehr Menschen litten, würden vermutlich durch eine falsche bakterielle Zusammensetzung des Mikrobioms ausgelöst. Michalsen hat deswegen auch wenig einzuwenden, wenn die Diskussion über die optimale Ernährungsform überall präsent ist und von manchen ihrer Protagonisten wie eine Ersatzreligion betrieben wird: „Wenn der deutsche Bürger nur noch 100 Gramm Fleisch pro Woche zu sich nimmt und wieder Leinsamen und Grünkohl isst, dann können wir aufhören, Ernährung als goldenes Kalb zu verehren.“