Schadstoffe in der Luft steigern das Risiko, langfristig an Typ-2-Diabetes zu erkranken. Denn Feinstaubkonzentrationen, selbst unterhalb der EU-Grenzwerte, führen zu einer Erhöhung bestimmter Blutwerte, die mit Diabetes in Verbindung stehen.
Schadstoffe in der Luft wirken sich nachteilig auf die Gesundheit aus. Mehrere Studien haben in den vergangenen Jahren gezeigt, dass bereits geringe Mengen an Feinstaub oder Stickoxiden die Wahrscheinlichkeit für Herzinfarkt und weitere Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems deutlich erhöhen. Experten fordern daher schon seit einiger Zeit die für die Europäische Union geltenden Grenzwerte zu senken. Bislang vergeblich, doch nun könnten ihnen die Ergebnisse einer neuen Studie weiteren Auftrieb geben. Wie Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums München und weiteren deutschen Forschungsinstituten in einem Artikel der Fachzeitschrift Diabetes mitteilen, steigern Schadstoffe in der Luft auch das Risiko, langfristig an Typ-2-Diabetes zu erkranken. Für ihre Analyse griffen die Forscher um Kathrin Wolf auf Daten der Kooperative Gesundheitsforschung in der Region Augsburg (KORA) zurück. Diese hatte im Rahmen der KORA F4-Studie 3.080 Personen aus dem Raum Augsburg befragt und ihnen auch eine Nüchtern-Blutprobe abgenommen, mit der sowohl verschiedene Biomarker für die Insulinresistenz und Entzündungen als auch weitere aus dem Fettgewebe stammende Botenstoffe bestimmt werden konnten. Bei Nichtdiabetikern wurde zudem ein oraler Glukosetoleranztest durchgeführt, mit dessen Hilfe sich ein gestörter Glukosestoffwechsel nachweisen lässt. „Die Auswahl der Teilnehmer in der KORA F4-Studie stellt hinsichtlich des Alters und Geschlechts einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung dar“, sagt Wolf, Erstautorin und Mitarbeiterin am Institut für Epidemiologie II des Helmholz-Zentrums München.
Die aus dieser Studie gewonnenen Daten verwendete Wolfs Team, um die Probanden in drei Gruppen aufzuteilen: Nichtdiabetiker, Diabetiker und Prädiabetiker, also Personen, die bereits einen leicht gestörten Glukosestoffwechsel aufweisen und somit ein deutlich erhöhtes Risiko haben, eines Tages an Typ-2-Diabetes zu erkranken. Die Nichtdiabetiker waren im Durchschnitt jünger und hatten einen niedrigeren BMI-Wert als die Probanden der beiden anderen Gruppen. Auch hatten die Nichtdiabetiker ein höheres Einkommen, eine bessere Ausbildung und trieben mehr Sport als Prädiabetiker und Diabetiker. Bei allen sechs ausgewählten Biomarkern (HOMA-IR, Glukose, Insulin, HbA1C, Leptin und CRP) waren die gemessenen Werte höher, wenn der Glukosestoffwechsel der einzelnen Probanden schlechter funktionierte. Die Forscher setzten anschließend die Biomarker aller Teilnehmer in Beziehung zur Luftverschmutzung an deren Wohnort. Die Schadstoffkonzentrationen hatten Wolf und ihr Team zuvor mithilfe von Vorhersagemodellen geschätzt, die auf wiederholten Messungen an mehreren Standorten in Augsburg und Umgebung beruhen. „Sowohl Feinstaub als auch Stickoxide wurden mehrfach im Laufe eines Jahres bestimmt, um jahreszeitabhängige Schwankungen zu berücksichtigen“, erklärt Wolf. Die gemessenen Feinstaubkonzentrationen waren im Durchschnitt niedriger als die EU-Grenzwerte, sie überschritten aber die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO.
Beim Abgleich der Blutwerte mit den Luft-Schadstoffkonzentrationen am Wohnort der Probanden zeigte sich, dass vor allem Prädiabetiker anfällig für die Einflüsse der Luftverschmutzung waren. Je höher die Werte für vier der Biomarker (HOMA-IR, Insulin, Leptin und CRP) bei ihnen waren, desto größer war die Luftverschmutzung an ihrem Wohnort. Auch bei Diabetikern und Nichtdiabetikern fanden sich ähnliche Zusammenhänge, doch diese waren schwächer ausgeprägt und statistisch nicht eindeutig. „Schadstoffe in der Luft sind langfristig ein Risikofaktor für Typ-2-Diabetes, da sie bei Prädiabetikern die Blutmarker für Insulinresistenz und für Entzündungen deutlich in die Höhe treiben“, sagt Wolf. Noch ist nicht klar, auf welche Weise Luftschadstoffe die Werte der Biomarker im Blut erhöhen. „Wahrscheinlich lösen Feinstaub und Stickoxide, wenn wir sie einatmen, in der Lunge Entzündungsreaktionen aus, die sich von dort aus in den ganzen Körper ausbreiten können“, sagt Wolf. „Letztendlich können wir mit unserer Studie aber keine kausalen Aussagen treffen, sie ist eine reine Zusammenhangsanalyse.“ Typ-2-Diabetes, so die Wissenschaftlerin, entstehe durch das Zusammenspiel vieler Faktoren. Luftschadstoffe spielten im Vergleich zu Übergewicht und mangelnder Bewegung wahrscheinlich keine so große Rolle. „Die Veränderung des Lebensstils reicht aber alleine als Ursache vermutlich nicht aus, um den enormen Anstieg der Diabeteszahlen in den vergangenen Jahren zu erklären“, sagt Wolf. Deswegen hält sie es für wichtig, auch andere potenzielle Faktoren wie die Luftverschmutzung zu untersuchen.
Der einzelne Betroffene kann seine Schadstoffbelastung meist nur geringfügig selbst beeinflussen: „Ein Umzug kommt in der Regel nicht in Frage, dafür hat der Einzelne es selbst in der Hand, seinen Lebensstil zu verändern“, sagt Barbara Hoffmann, Leiterin einer Arbeitsgruppe am Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universität Düsseldorf. Doch auf die gesamte Bevölkerung bezogen könne ein bisschen Zuviel an Schadstoffen in der Luft enorme Auswirkungen haben, findet Hoffmann: „Selbst wenn das Risiko für Typ-2-Diabetes durch eine zusätzliche Schadstoffbelastung nur gering erhöht wird, führt die große Zahl der Betroffenen zu einer erheblichen Zahl von zusätzlichen Erkrankungen.“ Wir müssten uns deshalb die Frage stellen, so die Umweltmedizinerin, ob wir bereit seien, die Kosten für die Luftverbesserung zu tragen oder ob wir die zusätzlichen Fälle an Diabetes, Herzinfarkten und Schlaganfällen in Kauf nähmen. Schon 2013 hätten Hoffmann zufolge die bestehenden EU-Richtwerte überarbeitet werden sollen, was aber aufgrund der damals angespannten wirtschaftlichen Lage in Europa dann doch nicht in Angriff genommen wurde. Hoffmann hofft nun auf 2018: Dann steht eine erneute Regulierungsrunde auf EU-Ebene an, und die bisher gültigen Grenzwerte könnten endlich in Richtung der wesentlich strengeren WHO-Empfehlungen verändert werden.