Schon lange ist bekannt, dass die Nervenverbindung zwischen Gehirn und Bewegungsapparat manchmal für die Erschöpfung von Sportlern sorgt. Nun haben Forscher beschrieben, wie ein Neurotransmitter bei Überlastung die Muskelarbeit stoppt.
Höchstleistungen im Sport beginnen im Kopf. Wer bei Leistungssportlern nachfragt, der erfährt immer wieder, dass gezielter Muskelaufbau durch Training allein nicht reicht, um besser als andere zu sein. Umgekehrt gilt aber genau das Gleiche: Selbst wer hart trainiert hat und verbissen um jeden Meter und jede Zehntelsekunde kämpft, macht ab und zu die Erfahrung, dass der Körper nicht mehr will, selbst dann, wenn noch genug Puste da ist, wenn die Energiereserven noch nicht aufgebraucht sind und der innere Schweinehund besiegt zu sein scheint.
Wenn Muskeln auf Befehle von oben nicht mehr reagieren, kommen auch beim gesunden Menschen mehrere Ursachen dafür in Frage. Möglicherweise ist dem Bewegungsapparat schlichtweg die Energie ausgegangen. Probleme bei der Übertragung von Nervenimpulsen auf den Muskel im Bereich der entsprechenden motorischen Endplatten können ebenfalls für ein rasches Ende der vollen Leistung sorgen. Unabhängig vom Muskel selber kennen Sportmediziner seit vielen Jahren aber auch das Phänomen der zentralen Ermüdung. Die Koordination von Bewegungsabfolgen lässt nach, der Marathonläufer bricht plötzlich zusammen. Das geschieht nicht nur bei maximaler Kraftanstrengung, sondern auch bei langandauernder Belastung mit mittleren Bereich. Schon seit rund 80 Jahren kennen Mediziner diese Art des Leistungseinbruchs. Sie stellten fest, dass beim Muskel dabei keine Signale mehr ankommen, um ihn anzutreiben. Die Notbremse soll verhindern, dass sich die Muskulatur völlig verausgabt.
Ein enorm wichtiges Element bei der Signalübertragung von der Kommandozentrale an die motorischen Elemente ist ein spezieller Neurotransmitter: Serotonin. In den Raphe-Kernen des Hirnstamms entspringen serotonerge Nerven, die Verbindungen in fast alle Regionen des Gehirns herstellen und als Motoneuronen ins Rückenmark und zu den Muskeln ziehen. Dementsprechend ist Serotonin an vielen physiologischen Aktionen beteiligt: Appetit, Schlaf und Sex sind nur einige serotoninabhängige Prozesse. Ein Transmitter-Mangel löst Angst und depressive Stimmungen aus, aber auch Aggression.
Jean Michel Perrier von der Universität Kopenhagen hat nun in einer aufwändigen in-vitro Untersuchung aufgeklärt, wie Serotonin zur nervengesteuerten Ermüdung beiträgt. Dabei ist der Stoff, auch unter dem Namen 5-Hydroxytryptamin (5-HT) bekannt, im Betrieb sowohl Antreiber als auch bremsendes Element. Die somatodendritischen Abschnitte der Motoneuronen sind dicht mit verschiedenartigen Rezeptoren für Serotonin besetzt. Ihre Aktivierung sorgt dafür, dass der Nerv leichter Impulse übertragen kann. Im Bereich des Initialsegments des Axons (AIS) findet sich dagegen nur eine einzige Rezeptor-Klasse: 5-HT1A, die bei der Aktivierung einen Natriumkanal in der Membran öffnet. Perrier und seine Kollegen suchten sich für ihre Untersuchungen Nervenpräparate aus dem Rückenmark von Landschildkröten, die gegen den auftretenden Sauerstoffmangel resistenter als andere Wirbeltiere sind. Bei langandauernder elektrischer Stimulierung wurden dementsprechend große Mengen an Serotonin ausgeschüttet. Nach etwa 30 Sekunden stoppte aber die Aktivität der Nervenzelle. Mit entsprechenden Antikörpern gegen den 5-HT1A-Rezeptor ließ sich diese Hemmung jedoch reversibel aufheben. Nachdem sich Serotonin vor allem im somatodendritischen Bereich nachweisen ließ, folgern die Autoren der Veröffentlichung in „PNAS“, dass der Neurotransmitter bei einem Überschuss auch in andere Regionen um die Nervenzellen herum abwandert. Dort kann er nicht mehr für eine weitere Stimulation sorgen, sondern bewirkt über seinen 1A-Rezeptor und dem darauf folgenden Natrium-Ioneneinstrom eine Depolarisation und einen Stopp der Signale an die Muskulatur. „Dieser Mechanismus“, so erklärt Perrier seine Ergebnisse, „könnte die Überreizung von Motoneuronen unter physiologischen Bedingungen verhindern. Weil der Bereich des AIS für die Erzeugung von Aktionspotentialen sorgt, wirkt er gewissermaßen als Türöffner. Mit der Hemmung dieser Aktionspotentiale umgeht Serotonin seine fördernde Wirkung weiter aufwärts im somatodendritischen Bereich“.
Die Entdeckungen erklären auch andere Effekte, die das Serotonin betreffen: In der Behandlung von Depressionen greifen Ärzte oft zu Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (SSRI), um einen Transmitter-Mangel zu beheben. Oft fühlen sich die Patienten danach sehr müde und ungelenk. Das Wissen um die Ursache dieser Ermüdung könnte auch im Bereich mentaler Störungen den Weg zu verbesserten Wirkstoffen ebnen. Serotonin spielt wahrscheinlich auch bei Spasmen oder der Zerebralparese eine große Rolle. Die Erkenntnisse aus Kopenhagen und den Kollegen aus Oxford lassen auf die Möglichkeit hoffen, seine Wirkung je nach Rezeptor und Ort der Bindung individuell zu steuern und damit eine überaktive und fehlgesteuerte Muskulatur zu therapieren.
Die Arbeit des Forschungsteams machten auch Gelder der dänischen Stiftung gegen Doping möglich. Denn das Wissen um den physiologischen Hintergrund müder Muskeln dürfte auch schwarze Schafe der Sportmedizin anlocken. Könnte man die Feed-Back-Hemmung des Serotonins - etwa durch geeignete Rezeptor-Antagonisten - ausschalten, wäre vielleicht noch etwas mehr Leistung aus dem Körper herauszukitzeln. Daher sind die neuen Ergebnisse für die WADA (Welt-Anti-Doping-Agentur) sicher sehr interessant. Immer wieder gibt es Berichte von Menschen, die unter besonderer Anspannung Leistungsreserven ihres Körpers mobilisieren können, die unter normalen Bedingungen nicht zur Verfügung stehen. Können sie bei akuter Lebensgefahr oder ganz besonderer Anspannung die Schranke dieser zentralen Ermüdung überwinden? Man könnte darüber spekulieren, ob der absolute Wille zur körperlichen Höchstleistung auch die eingebaute Serotonin-Kontrolle ausschalten kann. In einigen Jahren liefern uns Sportmediziner wohl auch darauf eine Antwort.