Jede dritte Asthmadiagnose bei Erwachsenen ist falsch, so lautet das Ergebnis einer aktuellen Untersuchung. Der Studienleiter und Pneumologe kritisiert: „Asthma ist nicht so schwer zu diagnostizieren, aber Ärzte müssen die richtigen Tests machen.“
Irren sich die Experten? Laut Global Asthma Report 2014 der Global Asthma Network (GAN) Steering Group leiden weltweit 330 Millionen Menschen an Asthma bronchiale. Die Weltgesundheitsorganisation WHO und die Global Initiative for Asthma sprechen von 230 beziehungsweise 300 Millionen Patienten. Diese Zahlen könnten viel zu hoch gegriffen sein, schreibt Dr. Shawn Aaron, University of Ottawa, in einer aktuellen Arbeit.
„Wir haben 701 Erwachsene, bei denen Asthma in den letzten fünf Jahren diagnostiziert worden war, rekrutiert“, sagt Aaron. Letztlich konnten Daten zu 613 Personen berücksichtigt werden. Von ihnen nahmen 86,6 Prozent zu Beginn der Studie Asthmamedikamente ein, etwa inhalierbare Kortikosteroide und/oder Leukotrienantagonisten. „Wir brachten alle Teilnehmer in unsere Labore und führten umfangreiche Lungenfunktionstests durch“, erklärt der Forscher. Falls die Ärzte keine Hinweise auf das Krankheitsbild fanden, baten sie Patienten, ihre Asthmamedikamente abzusetzen. Dann folgten Provokationstests, um das Krankheitsbild zu bestätigen oder zu widerlegen. Als Voraussetzungen für Asthma wurde gesehen, dass sich die Einsekundenkapazität (FEV1) nach Gabe von Bronchodilatatoren um 12 oder mehr Prozent verbesserte, der exspiratorische Spitzenfluss um mehr als 10 Prozent schwankte oder ein Methacholin-Provokationstest positiv ausfiel. Pneumologen fahndeten gleichzeitig nach anderen Ursachen für Symptome. Shawn Aaron © thinkottawamedicine.ca „Letztlich fanden wir heraus, dass 33 Prozent aller Teilnehmer nicht an Asthma leiden und damit auch keine Medikation benötigen“, berichtet Aaron. Selbst zwölf Monate nach dem ersten Untersuchungsdurchgang fehlten bei 181 Personen labordiagnostische oder klinische Hinweise auf die Erkrankung.
Um eine Erklärung ist Aaron nicht verlegen: „Einerseits diagnostizieren Allgemeinmediziner bei manchen Patienten Asthma falsch. Andererseits hatten manche Patienten vielleicht Asthma, befinden sich jetzt aber in Remission.“ Und nicht zuletzt gehen viele Krankheiten mit Husten oder Atemnot einher. Hier reicht das Spektrum von einer Refluxösophagitis oder einer allergischen Rhinitis bis hin zur dekompensierten Herzinsuffizienz oder zur Lungenembolie. „Wir fanden heraus, dass zwei Prozent unserer zufällig ausgewählten Patienten schwere Herz- oder Lungenerkrankungen hatten, die fälschlich mit Asthma diagnostiziert worden waren“, ergänzt der Wissenschaftler. Ärzte fanden bei Studienteilnehmern Ischämien, subglottische Stenosen, interstitielle Lungenerkrankungen, pulmonale Hypertonien und weitere Krankheitsbilder. Bleibt als Kritik: „Asthma ist nicht so schwer zu diagnostizieren, aber Ärzte müssen die richtigen Tests machen“, schreibt Shawn Aaron. Er fordert vor allem Lungenfunktionsprüfungen. Dabei sollte das Gesamtvolumen der ein- und ausgeatmeten Luft (Vitalkapazität, VC) und das innerhalb von einer Sekunde forciert ausgeatmete Volumen (FEV1) bestimmt werden. Leiden Erwachsene nicht – oder nicht mehr – an Asthma, machen Medikamente keinen Sinn mehr. Aaron verweist auf etliche Nebenwirkungen, die ohne Notwendigkeit in Kauf genommen würden, aber auch auf hohe Kosten.
Zu ähnlichen Resultaten kommt Ingrid Looijmans-van den Akker aus Utrecht, auch bei Kindern. Sie nahm Daten von 4.960 niederländischen Kindern retrospektiv unter ihre Lupe. Alle kleinen Patienten waren zwischen sechs und 18 Jahren alt. Allgemeinmediziner hatten bei 546 von ihnen Asthma diagnostiziert. Weitere 106 Kinder wurden aufgrund ihrer Medikation eingeschlossen, so dass der Forscherin Daten von 652 Personen vorlagen. Lediglich in 16,1 Prozent aller Fälle wurde Asthma per Spirometrie bestätigt. Bei weiteren 23,2 Prozent deuteten die Symptome zumindest auf die Erkrankung hin, ohne dass ein Beweis erbracht worden war. Und bei 53,5 Prozent hält Looijmans-van den Akker Asthma für unwahrscheinlich. Von Fehldiagnosen spricht die Forscherin bei 7,2 Prozent. Auch sie kritisiert, zu wenige Asthmadiagnosen würden durch Lungenfunktionstests bestätigt. Ähnliche Erkenntnisse gibt es aus Deutschland.
Warum Allgemeinmediziner oder Kinderärzte ihre Patienten nicht zum Facharzt schicken, ist unklar. Weder Shawn Aaron noch Ingrid Looijmans-van den Akker nahmen Kontakt mit den behandelnden Kollegen auf. Da ihre Untersuchungen in zwei unterschiedlichen Gesundheitssystemen durchgeführt worden sind, lässt sich annehmen, dass es sich um keine landestypischen Besonderheiten handelt. In einer Stellungnahme gibt die Deutsche Atemwegsliga mehrere Erklärungen. „Es gibt keinen Goldstandard für die Asthmadiagnose“, schreiben Experten. Patienten könnten lange Zeit symptomfrei sein, um nach Allergenkontakt einen bedrohlichen Anfall zu entwickeln. Untersuchungen beim Facharzt bringen wenig: „Der Metacholin-Provokationstest hat eine schlechte Spezifität aber eine ausgezeichnete Sensitivität“, heißt es weiter. Und nicht zuletzt sei eine sichere Diagnose bei Kindern vor dem fünften oder sechsten Lebensjahr praktisch unmöglich. Ihr Fazit: „In den meisten Fällen handelt es sich also nicht um ärztliche Fehler, es liegt in der Natur des Asthmas. Die Publikationen sollten zum Anlass genommen werden, jeden Asthmapatienten von Zeit zu Zeit auf die Notwendigkeit (Überdiagnose?) und Dosierung einer laufenden Asthmamedikation zu überprüfen und die Therapie bei Asthmakontrolle zu reduzieren.“