Ist das Medizinstudium an der Uni Frankfurt unerträglich? Studenten klagen über Druck und Willkür in der Ausbildung. Ihr Eindruck: Zu viel Geld fließt in die Forschung und zu wenig in eine gute Lehre. „Es haben viele abgebrochen, die gute Ärzte hätten werden können.“
Lernen unter Stress und Druck, kaum Freizeit für einen Ausgleich: Das Medizinstudium bringt Studenten oft an den Rand der Belastungsgrenze. So sehr, dass sie besonders anfällig für Depressionen sind, wie eine Studie zeigte. DocCheckNews hatte daraufhin eine Umfrage unter deutschen Medizinstudenten zu ihrem Befinden gestartet. Bei den Rückmeldungen und Kommentaren, die uns erreichten, fiel auf: Als negatives Beispiel wurde besonders oft das Medizinstudium an der Goethe-Universität Frankfurt genannt. Wir wollten den Klagen nachgehen – und haben mit Studenten und Dekanat gesprochen.
Die Zustände in Frankfurt seien „katastrophal‟, schrieben uns die Studenten. Von „Schikane durch die Uni‟ und „Willkür‟ ist die Rede. „Medizin an der Uni Frankfurt = Depression im Abo!‟, so ein weiterer Kommentar. Ähnliches fördert der Blick in Bewertungsportale wie StudyCheck zu Tage. Das Medizinstudium in Frankfurt sei „die Hölle‟ heißt es dort, „der wahre Horror.‟ Die Lehrenden würden sich „einen Spaß daraus machen‟, „möglichst viel Druck‟ auf die Studenten auszuüben. Man habe dort „das Gefühl, nur eine unerwünschte Nummer von vielen zu sein.‟ „Eine menschliche Ausbildung zum Arzt wird hier nicht geboten‟, es werde brutal selektiert und „kein Raum für Selbstverantwortung oder persönliche Entwicklung gelassen‟, schreiben die Studenten. „Der anhaltende Druck von allen Seiten ist hier gewollt und wird geradezu zelebriert!‟ Ein weiteres Beispiel: „Die Vorklinik in Frankfurt ist eine Katastrophe, das System ist zum Scheitern und Aussortieren konzipiert worden.‟ Beklagt wird immenser Druck von Anfang an, unfaire Prüfungsbedingungen und mangelndes menschliches Verständnis von Seiten der Verwaltung und der Dozenten. Bewertungen von Medizinstudenten anderer großer Unis fallen im gleichen Portal deutlich gnädiger aus. Das zeigt auch die Statistik: Laut StudyCheck würden nur 73 Prozent der Studenten, die eine Bewertung abgaben, das Medizinstudium in Frankfurt weiterempfehlen. Zum Vergleich: Das Medizinstudium an der Uni Hamburg empfehlen 99 Prozent der Nutzer weiter, das in Leipzig 96 Prozent, und das an der LMU München 94 Prozent. Die Zahlen der einzelnen Unis basieren auf Bewertungen von durchschnittlich je 100 Studenten. Sie müssen nicht zwangsläufig repräsentativ sein – passen aber ganz klar zu dem, was ehemalige und heutige Medizinstudenten berichten.
Genannt werden immer dieselben Punkte, einer davon ist der Aufbau des Studiums in Frankfurt. Schon die ersten beiden Semester sind zugepackt mit Leistungsnachweisen, Ferien gibt es in dieser Zeit praktisch nicht. Die Vorklinik ist so konzipiert, dass der wesentliche Physikumsstoff statt in ohnehin knappe vier, fast vollständig in die ersten drei Semester gepresst wird. Im vierten stehen vor allem Wiederholungsseminare auf dem Plan. Zur Physikumvorbereitung könnte das ja durchaus hilfreich sein. Im Vordergrund stehe aber nicht, das Verständnis zu vertiefen, berichten Studenten. Vielmehr beginnt bereits der Prüfungsstress. Und statt Testate wenigstens anzukündigen, gilt hier das Zufallsprinzip. Jeden Tag kann es passieren, dass man aus dem Seminar herausgezogen und einzeln im Nebenraum abgefragt wird. „Das stresst natürlich viele und Objektivität ist dabei nicht an der Tagesordnung‟, so ein Fachschaftsvertreter. Ein ehemaliger Student berichtet: „Ich wurde an einem Tag abgefragt. Weil es nicht gut genug war, am Nachmittag noch einmal, und wieder am nächsten Tag – aber plötzlich zu einem ganz anderen Thema.‟ Noch dazu sieht das Studium in Frankfurt eine spezielle Hürde vor, die viele Studenten als „Präselektion‟ empfinden. Vor dem eigentlichen Physikum gibt es die „Viererklausur‟ in den Fächern Biochemie, Anatomie, Physiologie und Psychologie/Soziologie. „Die Viererklausur siebt die aus, die es sonst vielleicht mit einer schlechten Note durchs Physikum geschafft hätten‟, sagt ein Fachschaftsvertreter. Aus Prestigegründen wolle die Uni so sicherstellen, dass im Physikum ein guter Notenschnitt zustande kommt. So empfinden es auch andere Studenten.
Während den Studierenden selbst in Frankfurt extrem viel abverlangt wird, berichten sie von mangelnder Qualität in der Lehre. Statt Vorlesungen selbst zu halten, würden Professoren regelmäßig ihre Präsentationen einem wissenschaftlichen Mitarbeiter in die Hand drücken – der dann von den Folien abliest – und Fragen nicht beantworten kann. Doch obwohl die Lehre wenig individuell und auf Auswendiglernen ausgerichtet sei, werde in den Prüfungen kaum reproduzierbares Wissen abgefragt. Die Rede ist von „Fragen, die kein Arzt beantworten könnte‟, und solchen, die erfordern, um drei Ecken zu denken. Tatsächlich wurden immer wieder Prüfungsfragen im Nachhinein für ungültig erklärt, weil diese erwiesenermaßen missverständlich oder deren vorgesehene Antworten falsch waren. Es herrsche „große Verunsicherung dabei, wie kann man sich am besten vorbereitet‟, so die Fachschaftsvertreter. „Man kann sich nie ganz sicher sein, ob es reicht und relevant ist, was man gelernt hat.‟ Hörsaalgebäude der Fakultät © Elke Födisch Uni Frankfurt Ein weiterer Punkt, der immer wieder genannt wird, ist die starre Organisation. Einige Lehrveranstaltungen gestünden keinen einzigen Fehltermin zu. Wer Pech hat, wird in Kurse eingeteilt, die sich mit anderen Pflichtleistungen überschneiden, oder muss während eines Praktikums eine Nachprüfung absolvieren. Auf die Folgen von Krankheit, private Probleme oder Studierende mit Kindern werde keine Rücksicht genommen. „Alles muss ins Raster passen. Oft hat man nicht das Gefühl, dass die Uni mit den Studierenden zusammenarbeitet, sondern eher gegen sie‟, sagt ein Student, der in der Fachschaft engagiert ist. Ein weiterer hatte einer Studentin Nachhilfe gegeben, die in der Schule immer sehr gut gewesen war. „Fleiß und Auswendiglernen war sie gewohnt. Ich dachte, die kommt hier gut durch.‟ Tatsächlich habe die ehemalige Einserkandidatin das Studium aufgegeben. „Sie drohte, psychisch daran zu zerbrechen.‟ Das Prinzip von Härte und Willkür sei nicht einmal zielführend dabei, die Besten weiterkommen zu lassen. „Es haben viele abgebrochen, die gute Ärzte hätten werden können.‟ Andere hätten vielleicht Glück, oder schafften es dank starker Nerven im System zu bestehen. Oder sie setzen auf das „Hilfsmittel‟ Ritalin, das nach Berichten der Studenten viele von ihnen nehmen.
Auf der Internetseite der Uni heißt es, der Frankfurter Fachbereich Medizin habe „in den vergangenen Jahren große Anstrengungen unternommen, um einen Spitzenplatz in Forschung und Lehre zu erringen.‟ Und zumindest in der Forschung steht die Uni tatsächlich gut da. Sie bekommt regelmäßig finanzielle Förderungen für ihre Exzellenscluster, auch in der Medizin. Die Studenten sehen genau hier das Problem: Während die Forschung über alles gestellt werde, leide die Lehre. Und so kann es sein, dass die Studenten einer „Exzellenz-Uni‟ nicht nur über Probleme im Studium klagen, sondern auch über das Fehlen von einer eigenen Kantine und Lernplätzen, sowie in der Bibliothek über die „miesesten Toiletten, die man sich vorstellen kann.‟ Robert Sader ist Studiendekan für die Klinik im Fachbereich Medizin. Wie schätzt der Professor die Zufriedenheit seiner Studenten ein? „Als immer besser‟, sagt er. In der Vergangenheit habe es zwar Proteste gegeben. „Das Curriculum war damals an einigen Stellen schlecht organisiert, heute ist es aber strukturierter und besser.‟ Beschwerden einzelner Studierender müssten „nicht immer der Realität entsprechen.‟ Eine besondere Härte könne er zumindest für den klinischen Teil des Studiums nicht bestätigen. Doch die konkreten Kritikpunkte der Studenten kann Sader auch nicht einfach ausräumen. Lassen seine Kollegen wichtige Vorlesungen tatsächlich von Hilfskräften abhalten? Es gebe „vielleicht ein paar schwarze Schafe.‟ Da lasse sich aber niemand reinreden: „Die Freiheit der Lehre und Forschung ist nun einmal vorgeschrieben.‟
Klausuren mit unlösbaren Fragen? „Auch das kommt immer wieder vor, liegt aber in der Verantwortung der Lehrstuhlinhaber. Wir können da zwar versuchen einzuwirken, doch unsere Einflussmöglichkeiten sind begrenzt.‟ Mangelnde Flexibilität? Die sei den hohen Studentenzahlen geschuldet, die individuelle Regelungen kaum möglich machten. Aus demselben Grund würden auch zum Teil recht viele Fächer auf einmal abgeprüft. Wird zu Lasten der Studenten auf die Forschung gesetzt? Wegen finanziellem Druck gelte es ständig die Balance zwischen Patientenversorgung, Lehre und der Forschung zu finden – wobei die Forschung der Uni helfe Drittmittel einzuwerben. „Für gute Lehre gibt es ja nichts‟, sagt Sader. Und das treffe vor allem die großen Universitäten. „Wir sind ein Massenbetrieb. Und wir können hier nicht so eine persönliche Lehre machen wie in Gießen, Marburg oder Greifswald.‟
Unzufriedenen Studenten bleibt theoretisch der Wechsel an eine andere Uni. Doch dafür würde man einen Tauschpartner benötigen, so eine Fachschaftsvertreterin: „Und es kommt eher selten vor, dass einer hier nach Frankfurt will.‟