Wer sich einmal mit Herpesviren infiziert hat, wird sie nie wieder los. Zurückgezogen in Zellen warten sie, bis das Immunsystem schwach genug für einen Ausbruch ist. Auch Feinstaub kann die Viren aus ihrem Versteck locken, wie Biologen in einer aktuellen Studie zeigen.
Gerade winzig kleine Dinge können die Gesundheit ins Wanken bringen. Feinstaub ist nur etwa 0,01 Millimeter groß, aber äußerst gefährlich. Da er über die Lunge in den menschlichen Körper eindringt, verstärken die winzigen Partikel, die oftmals Schwermetalle oder krebserzeugende Kohlenwasserstoffe an ihrer Oberfläche tragen, die Symptome von Asthma und COPD und schränken die Lungenfunktion ein. Feinstaub kann auch das Gehirn schrumpfen lassen und stille Infarkte sowie Demenz fördern, wie DocCheck im Mai 2015 berichtete. Neben Lungenkrebs stehen auch Herz-Kreislauferkrankungen, Herzinfarkte oder Schlaganfälle auf der Liste der feinstaubbedingten Erkrankungen. Wissenschaftler des Helmholtz Zentrum München konnten nun zeigen, dass bestimmte Nanopartikel in der Luft sogar latente, virale Infektionen aufblühen lassen können.
Bekannt ist das Phänomen von Herpes-Viren, die – einmal eingefangen - ihren Wirt in Zeiten eines geschwächten Immunsystems immer wieder mit lästigen Bläschen auf den Lippen oder anderen Körperteilen belästigen. Sind die Bläschen verschwunden, ist das Virus keinesfalls besiegt. Es versteckt sich in Zellen des Wirts und verharrt dort, bis sich eine weitere, günstige Gelegenheit zu einem erneuten Ausbruch bietet. Dann werden die Viren wieder aktiv, beginnen sich zu vermehren und zerstören die Wirtszelle. „Aus vorangegangenen Modellstudien wussten wir bereits, dass das Einatmen von Nanopartikeln eine entzündliche Wirkung hat und das Immunsystem verändert“, so Studienleiter Tobias Stöger. Gemeinsam mit seinen Kollegen konnte er nun zeigen, dass eine Exposition mit Nanopartikeln in der Lunge latente Herpesviren reaktivieren kann. So stark war die Feinstaubbelastung am 1.1.17 in Deutschland © Umweltbundesamt
Ihre Versuche führten die Forscher mit vier verschiedenen Nanopartikeln durch, wie sie zum Teil typischerweise bei der Verbrennung von fossilen Energieträgern entstehen. Als Versuchsmodell dienten den Wissenschaftlern humane Zellen, Mauszellen, sowie Mäuse, die dauerhaft mit dem Herpesvirus MHV-68 infiziert waren. „Die applizierte Kohlenstoff-Nanopartikel Dosis haben wir aus vorangegangenen Studien abgeleitet. Die Umweltrelevanz der Dosis stand dabei nicht im Vordergrund, vielmehr haben wir die Dosis so gewählt, dass die Gabe eine signifikante, akute Entzündungsreaktion in der Lunge der Mäuse hervorruft, für die Tiere jedoch unbedenklich ist“, erklärten der beteiligte Virologe Heiko Adler und Tobias Stöger gegenüber DocCheck.
Im aktiven Infektionszustand konnten die Feinstaubpartikel das Verhalten des Herpesvirus nicht beeinflussen. Konfrontierten die Forscher die Mäuse jedoch mit den Feinstaubpartikeln, während sich das Herpesvirus in den latenten Infektionsstatus zurückgezogen hatte, konnten sie nach wenigen Stunden einen deutlichen Anstieg viraler Proteine nachweisen, die nur bei aktiver Virusvermehrung produziert werden. „Auch Stoffwechsel- und Genexpressionsanalysen ergaben Muster wie bei einer akuten Infektion“, so Philippe Schmitt-Kopplin, Leiter der Abteilung für Analytische BioGeoChemie. Weitere Experimente mit menschlichen Zellen belegten zudem, dass auch Epstein-Barr-Viren bei einem Kontakt mit den Nanopartikeln ‚geweckt‘ werden.
Diese Feinstaubpartikel testeten die Wissenschaftler. Elektronenmikroskopische Aufnahme von Tobias Stöger, Helmholtz Zentrum München Von allen vier getesteten Feinstaubpartikeln (CNP, DWCNT, TiO2 und DEP) zeigte sich DWCNT am effektivsten bei der Reaktivierung der untersuchten Viren. „Das liegt wahrscheinlich daran, dass DWCNT neben oxidativem Stress und akuten Entzündungsreaktionen auch eine Reihe von zytotoxischen Stoffwechselwegen beeinflussen”, erklären die Wissenschaftler das Phänomen.
In weiteren Studien möchte das Forscherteam nun testen, ob sich die Ergebnisse auch auf den Menschen übertragen lassen. Denn: „Viele Menschen tragen Herpesviren in sich und Patienten mit idiopathischer Lungenfibrose sind dabei besonders betroffen“, so Heiko Adler. „Wenn sich die Ergebnisse beim Menschen bestätigen, wäre es wichtig, den molekularen Ablauf der Reaktivierung von latenten Herpesviren durch Partikelinhalation zu ergründen. Dann könnte man versuchen, diesen Wirkungsweg auch therapeutisch zu beeinflussen.“
Feinstaub, wie er in Städten mit hoher Verkehrsbelastung auftritt, besteht nicht nur aus Kohlenstoffnanopartikeln, sondern ist deutlich komplexer zusammengesetzt. In dieser Studie waren Zellen und Mäuse außerdem nur einmalig einer erhöhten Feinstaubbelastung ausgesetzt. Menschen sind, je nach Wohn-und Arbeitsort, oft kontinuierlich einer mehr oder weniger starken Feinstaubbelastung ausgesetzt. „Vorstellbar ist, dass eine wiederholte Partikelexposition mit entsprechender Virus-Reaktivierung zu chronischen Entzündungs- und Umbauprozessen in der Lunge führen könnte“, so Stöger und weiter: „Umgerechnet auf den Menschen kann die in die Maus applizierte Menge von 50 µg nur kumulativ, z.B. am Arbeitsplatz, erreicht werden. Außerdem haben wir die Nanopartikel per intratrachealer Instillation in die Lunge der Mäuse verabreicht. Damit ist die Dosisrate (Dosis pro Zeit) nicht mit der bei der Inhalationsexposition zu vergleichen, wie sie auf Menschen in Städten mit bedenklicher Luftverschmutzung zutrifft.“ Spezielle Zellkulturmodelle sollen daher künftig den genauen Mechanismus der Virus-Reaktivierung durch Nanopartikel aufklären. „Zudem möchten wir in Langzeitstudien prüfen, inwieweit eine wiederholte Partikelexposition mit entsprechender Virus-Reaktivierung zu chronischen Entzündungs- und Umbauprozessen in der Lunge führen kann“, blickt Tobias Stöger voraus. Immunhistologische Färbung der lytischen Proteine. © Tobias Stöger, Helmholtz Zentrum München
Mit Feinstaub haben nicht nur die chinesischen Megametropolen zu kämpfen. Erst im Dezember letzten Jahres versank der Eifelturm in Paris unter einer graubraunen Dunstglocke, und das nicht etwa wegen ausgiebiger Silvesterfeierlichkeiten. Bereits am 7. Dezember meldete die zuständige französische Behörde „Airparif“ einen Rekord bei der Feinstaubbelastung der französischen Hauptstadt. Seit Mitte Januar haben nun Fahrzeuge mit einer hohen Feinstaubemission von 8 bis 20 Uhr Fahrverbot. Auch Deutschland ist immer wieder von erhöhten Feinstaubkonzentrationen betroffen. Hier führen Stuttgart, Weimar und Berlin die Tabelle der Städte mit den häufigsten Feinstaub-Grenzwertüberschreitungen an. Die Folgen sind gravierend. Auf den Seiten des deutschen Umweltbundesamtes ist zu lesen: „2014 gab es 41.100 vorzeitige Todesfälle in Deutschland, die auf die Feinstaub-Belastung der Luft zurückgeführt werden können.“ 54 deutsche Städte haben inzwischen eine Umweltzone. Ihr Ziel ist es, die Belastung mit Feinstaub und Stickstoffdioxid zu verringern, und die Luftgrenzwerte einzuhalten. Verlässlichen Schutz vor Feinstaub bieten momentan nur spezielle Atemmasken, die aber wenig alltagstauglich sind.
Nanoparticle exposure reactivates latent herpesvirus and restores a signature of acute infection