In Berlin formiert sich eine Mehrheit für Hermann Gröhes Pläne, den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Präparaten einzudämmen. Krankenkassen haben da ganz andere Vorstellungen, mit denen sie bei Politikern hausieren gehen.
Apotheker zählen nach wie vor auf Hermann Gröhes Initiative, den Versand mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zu unterbinden. Ein neues Argument: „Die Infrastruktur der Apotheken ist – im Gegensatz zum individuell benötigten Arzneimittel – ein öffentliches Gut“, sagt Dr. Andreas Kiefer, Präsident der Bundesapothekerkammer (BAK).
Und weiter sagt er: Niemand könne von der Nutzung öffentlicher Güter ausgegrenzt werden. „Notdienst und viele andere Gemeinwohlpflichten grenzen wohnortnahe Apotheken von ausländischen Versendern ab“, ergänzt Kiefer. Der Staat regle die Finanzierung von Gemeinwohlpflichten öffentlicher Apotheken mit Hilfe der Arzneimittelpreisverordnung und sichere so gleichzeitig die flächendeckende Arzneimittelversorgung. Dieses Modell sei nach der Aufhebung der Preisbindung für ausländische Versender „massiv gefährdet“. „Daher muss die Politik hier eingreifen, denn Versand kann Flächendeckung nicht ersetzen“, resümiert der BAK-Präsident.
Politiker jenseits der Union stellen sich nicht mehrheitlich hinter Gröhes Pläne. In den letzten Monaten hatten gerade Sozialdemokraten als Koalitionspartner Verbote abgelehnt. Jetzt deuten erste Äußerungen Karl Lauterbachs auf eine Kursänderung hin. Screenshot: DocCheck © Twitter Über Twitter schrieb der Sozialdemokrat zwar, die CDU wolle ein „Versandhandelsverbot für die Apothekerlobby“, und Patienten verlören Boni für ihre Zuzahlung. Für die SPD sei das nur möglich, wenn die Zuzahlung für Chroniker ganz wegfiele. Gegenüber der FAZ bestätigte er seine – wie er sagte – mit der Parteispitze abgestimmte Position. Tatsache ist, dass die SPD massiv um eine gemeinsame Position zum Rx-Versand ringt. Vor wenigen Wochen hatten mehrere Länder mit SPD-Mehrheit einem CSU-Antrag gegen den Rx-Versandhandel zugestimmt. Trotz Lauterbachs Vorschlag sind Union und Sozialdemokraten von einem Kompromiss weit entfernt.„Es ist zwar grundsätzlich begrüßenswert, dass die SPD ihre Blockadehaltung beendet. Bayern lehnt aber unseriöse Tauschgeschäfte zulasten der Beitragszahler ab“, erklärte Melanie Huml (CSU). Sie ist Gesundheitsministerin im südlichen Freistaat.
Und nicht zu vergessen: Krankenkassen haben ebenfalls klare Vorstellungen, mit denen sie bei Politikern hausieren. „Ein Versandhandelsverbot wäre im 21. Jahrhundert nicht zeitgemäß und würde auch durch eine Zuzahlungsbefreiung für Chroniker nicht zeitgemäßer“, erklärte Johann Magnus von Stackelberg, jetzt über Twitter. Er ist stellvertretender Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbands. Screenshot: DocCheck © Twitter Mit ähnlichen Tönen meldete sich auch Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbands, zu Wort: „Die Apotheken brauchen eine offenere Einstellung zum Wandel in der Gesellschaft.“ Von gesetzlichen Einschränkungen will er nichts wissen: „Ein Verbot passt einfach nicht in unsere Zeit.“
Jetzt haben Bürger das letzte Wort. „Damit wir Ihnen als Patienten auch morgen noch diese unverzichtbaren und individuellen Leistungen für Ihre Gesundheitsversorgung bieten können: Fordern Sie von der Politik, unser Gesundheitssystem zu schützen“, schreibt die ABDA auf einer Kampagnenwebsite. „Unterschreiben Sie dafür jetzt in Ihrer Apotheke!“ Andreas Hott, Apothekenleiter aus Landau und Vorstand des Apothekerverbands Rheinland-Pfalz, bemüht sich, alte Vorurteile auszuräumen, Stichwort „Apothekenpreise“: „Pro Medikament erhält der Apotheker 8,35 Euro für die Abgabe und seine pharmazeutische Leistung sowie drei Prozent vom Apothekeneinkaufspreis für Lagerhaltung und (Vor-)Finanzierung des Arzneimittels.“ Rabatte würden lediglich GKVen gewährt. Patienten erklärt er weiter: „Aber pro abgegebenem, verordnetem Medikament erhält die gesetzliche Krankenkasse, bei der der Patient versichert ist, von der Apotheke einen Rabatt von derzeit 1,77 Euro. So tragen auch wir Apotheker unseren Teil dazu bei, dass unser Gesundheitssystem bezahlbar bleibt.“ Auch die Zuzahlung werde an Krankenkassen abgeführt. „Dieses Inkasso erledigen die Apotheken für die Krankenkassen unentgeltlich“, ergänzt Hott.
Nicht alle Bürger lassen sich von diesen Argumenten überzeugen. Gerade chronisch Kranke würden überproportional belastet, stellt der Verein Dialysepatienten und Transplantierte Chemnitz klar. Insofern sei es „verständlich und völlig legitim“, dass diese Menschen Bonus- und Gutscheinprogramme des Versandhandels in Anspruch nähmen. Von Sicherheitsbedenken will der Verein nichts hören: „Patienten haben einen intensiven Kontakt zu ihren behandelnden Ärzten, nehmen ihre Medikamente teils seit Jahren und sind daher von ihren Ärzten über die verschriebenen Medikamente bestens informiert“, heißt es in einer Mitteilung. Ihre Argumentation richtet sich keineswegs gegen Präsenzapotheken: Beide Arten der Arzneimittelversorgung hätten ihre Berechtigung uns sollten erhalten bleiben. „Die Patienten wollen und können jedoch selbst entscheiden, was für sie individuell die bessere, günstigere oder auch bequemere Bezugsform ihrer rezeptpflichtigen Medikamente ist.“ Vertreter der Dialysepatienten appellieren jetzt an alle Abgeordneten und Fraktionen des Deutschen Bundestags und des Bundesrats, Rx-Versandverboten eine Absage zu erteilen. Noch ist Gröhes Gesetz nicht in trockenen Tüchern.