Japanischen Forschern ist es gelungen, Mäusen mit Retina-Degeneration wieder ein begrenztes Sehvermögen zurückzugeben. Sie verwendeten Transplantate aus induzierten pluripotenten Stammzellen. Ein Meilenstein oder ein weiteres Projekt aus dem Elfenbeinturm?
Bei Retinitis pigmentosa, der häufigsten vererbten Netzhauterkrankung, gehen Rezeptorzellen zu Grunde. Jeder zweite Patient erblindet bis zum 40. Lebensjahr. Um Betroffenen zu helfen, experimentierten Wissenschaftler bislang mit elektronischen Retina-Implantaten. Die Idee dahinter: Bilddaten werden mit Sensoren erfasst, und elektrische Impulse gehen weiter an die Nerven. Mit der Technik ist es gelungen, ein gewisses Sehvermögen wiederherzustellen. Netzhauttransplantationen brachten nicht den erhofften Durchbruch. Michiko Mandai vom japanischen RIKEN Center for Developmental Biology zeigt einen dritten Weg auf, nämlich die Transplantation von Photorezeptoren.
Bipolare Wirtszellen (grün markiert) und Zellen des Transplantats (rot markiert) treten in Wechselwirkung. Es kommt zur synaptischen Interaktion © RIKEN Center for Developmental Biology Für ihr Experiment wählte die Forscherin rd1-Mäuse (retinal degeneration) aus. Bei ihnen kommt es zur schwerwiegenden Degeneration der Retina. Photorezeptoren verlieren ihre Funktion, und räumlich benachbarte Nervenzellen erhalten keine Signale mehr. Forscher übertrugen 3D-Retinaimplantate, die aus induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS) der Maus stammten. Um ihren Erfolg zu beurteilen, setzten Biologen fluoreszierende Proteine ein. Damit kennzeichneten sie die Enden von Photorezeptoren. Retinale, bipolare Zellen erhielten ein anderes Eiweiß zur Kennzeichnung. Tatsächlich kamen Zellenden aus dem Transplantat mit Wirtszellen in Berührung. Neu gewachsene Photorezeptoren traten mit bipolaren Zellen der Mäuse in Verbindung. Um zu beurteilen, ob Tiere nach dem Eingriff Licht sehen konnten, verwendeten die Forscher eine Verhaltensaufgabe. Nager mit normaler Sehkraft können lernen, Töne oder Licht mit verschiedenen Ereignissen in Verbindung zu bringen, wie dereinst Pavlovs berühmter Hund. Transplantierte Mäuse mussten eine plötzlich beleuchtete Raumhälfte verlassen. Ansonsten folgte ein schwacher Stromschlag. Vor dem Eingriff scheiterten sie an dieser Aufgabe. Postoperativ war jedes zweite Tier in der Lage, bei Licht zu flüchten. Dazu sind zwei Voraussetzungen notwendig: Neue Zellen der Netzhaut reagieren auf Licht – und Signale gelangen zum Gehirn. Mandai warnt jedoch vor allzu großen Erwartungen: „Wir können nicht erwarten, den früheren Visus wiederherzustellen“, erklärt sie. Vielmehr würden Patienten anfangs Licht und später vielleicht größere Strukturen wahrnehmen.
Professor Dr. Gerd Kempermann © DZNE „Das Paper zeigt, dass man mit Zellen, die man aus ganz gewöhnlichen Hautzellen umprogrammiert hat, eine erfolgreiche Zelltherapie am Auge durchführen kann – so rudimentär und unvollkommen sie auch noch sein mag“, kommentiert Professor Dr. Gerd Kempermann vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), Dresden. Er ist auch Leiter der Arbeitsgruppe Genomische Grundlagen der Regeneration, DFG-Forschungszentrum für Regenerative Therapien (CRTD), Dresden. „Offensichtlich haben aber die hier verwendeten Zellen das Potenzial, immerhin die grundlegenden Kontakte herzustellen.“ Mandai und Kollegen konnten nachweisen, dass sich die implantierten Zellen tatsächlich verschaltet hatten. Wie weit eine wirkliche Integration hier stattgefunden habe, in welchem Maße und wie sie überhaupt möglich sei, bleibe aber unklar, so Kempermann weiter. Er verweist auf ein anderes Beispiel für erfolgreiche Zelltherapien im Nervensystem. Forschern ist es gelungen, unreife Nervenzellen in das Gehirn von Parkinsonpatienten zu implantieren. Daraufhin fand man positive Auswirkungen auf die Funktion, obwohl sich die Zellen nicht so integriert hatten, wie sie theoretisch sollten. „Bezogen auf den aktuellen Fall bedeutet das: Eine Reaktion auf Licht ist noch nicht das Gleiche wie ‚Sehen’. Für Patienten wäre aber auch das schon mitunter ein Gewinn“, gibt Gerd Kempermann zu bedenken.
Dr. Günther Zeck ©: NMI Dr. Günther Zeck, Leiter der Gruppe Neurophysik am Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Institut (NMI) der Universität Tübingen, hat sich ebenfalls mit Mandais Resultaten befasst. „Der funktionelle Nachweis wird in zwei Experimenten erbracht: zum einen in einem Verhaltensexperiment und zum anderen über elektrophysiologische Messungen.“ Am Verhaltenstest hat er Zweifel: „Das Resultat könnte meines Erachtens aber auch durch die intrinsisch lichtsensitiven Ganglienzellen begründet werden, welche bei Maus und Mensch für eine stabile Wahrnehmung der Umgebungshelligkeit sorgen.“ Damit nicht genug. „Zudem erwähnen die Autoren, dass ein zweiter Verhaltenstest (optokinetische Stimulation), welcher von anderen Gruppen schon angewendet wurde, kein Ergebnis lieferte.“ Bei den elektrophysiologischen Messungen gab es ebenfalls Auffälligkeiten. Günther Zeck: „Erstaunlich ist, dass bis auf ein Beispiel in transplantierten Retinas, Ganglienzellen nur auf heller werdendes Licht reagieren und nicht auf dunkler werdendes Licht. Es gibt keinen Grund, warum nur eine Hälfte der Ganglienzellen aktiviert werden sollte. Darauf wird in dieser Studie nicht näher eingegangen.“
Doch lassen sich Mandais Daten auf die Humanmedizin übertragen? „In vielfacher Hinsicht sind sich die Netzhaut von Maus und Mensch sehr ähnlich, gerade was den Aufbau des Netzwerks angeht und das Aussehen und die Funktion der Zellen“, erklärt Kempermann. „Insofern kann man von der Maus sehr viel lernen.“ Trotzdem gebe es etliche Unterschiede auf genetischer und funktionaler Ebene. „Im konkreten Fall ist nun sicherlich noch viel Forschung notwendig, um zu verstehen, was hier genau passiert und wie übertragbar die einzelnen Ergebnisse sind“, sagt der Experte. „Mit guten Vordaten, zum Beispiel auch an Tieren, die ähnliche Augen wie wir haben, beispielsweise Schweinen, wird man dann irgendwann einen Versuch beim Menschen wagen müssen.“