Wunden hinterlassen Narben. Doch das könnte sich bald ändern. Zellbiologen haben einen natürlichen Heilungsprozess entdeckt, der verwundete Haut narbenfrei nachwachsen lässt. Der Schlüssel dazu liegt in der Regeneration der Haarfollikel und Fettzellen.
Der Sturz vom Klettergerüst, das neue Hüftgelenk, der Motorradunfall – diese und andere Ereignisse im Leben eines Menschen hinterlassen Narben. Und Narben können hässlich sein, jucken und manchmal sogar schmerzen. Mit ihrer Präsenz erinnern sie Träger wie Betrachter stetig daran, in welch meist unglücklicher Situation sie entstanden sind. Doch die wulstigen, hellen und unbehaarten Male der Vergangenheit könnten bald der Vergangenheit angehören, wie Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe von „Science“ berichten.
Forscher der University of California, Irvine, und der University of Pennsylvania haben in ihren Studien an Mäusen bisher unbekannte zelluläre und molekulare Prozesse identifiziert, bei denen sich große Wunden bei erwachsenen Mäusen zu nahezu normal aussehender Haut mit neuen Haarfollikeln und Fettgewebe entwickelt haben. Schlussendlich war das Zentrum der Wunde kaum mehr von normaler, unverwundeter Haut unterscheidbar. Wie war das möglich? Christian F. Guerrero-Juarez von der University of Pennsylvania erklärt: “Typischerweise findet man in Wunden hauptsächlich Myofibroblasten. Man ging bisher davon aus, dass sich Myofibroblasten nicht in andere Zelltypen umwandeln können, also ausschließlich Narbengewebe bilden können. Wir konnten zeigen, dass dem nicht so ist.“
Christian F. Guerrero-Juarez (links) and Maksim Plikus, © Raul Ramos / UCI
Im Labor gelang den Wissenschaftlern zunächst der Schritt, Myofibroblasten in Fettzellen umzuwandeln. Fettzellen bilden kein Narbengewebe. Sie kommen natürlicherweise in der Haut vor, nicht aber wenn Wunden zu Narben verheilen. Narbengewebe unterscheidet sich auch in einem anderen Punkt von gesunder Haut: Im Narbengewebe gibt es keine Haarfollikel. Dieser grundsätzliche Unterschied bildete die Basis für die das weitere Vorgehen der Wissenschaftler.
“Wir können die Wundheilung nun so manipulieren, dass statt der Narbenbildung eine Regeneration der Haut stattfindet“, so Studienleiter George Cotsarelis von der University of Pennsylvania. Das Geheimnis bestünde darin, die Haarfollikel als erstes zu regenerieren. „Im Anschluss regeneriert sich auf die Signale dieser Follikel hin auch das Fett“, erklärt Cotsarelis den Prozess. Die Studie zeigte, dass sich Haare und Fett zwar getrennt voneinander entwickeln, aber nicht unabhängig voneinander. Zuerst bilden sich die Haarfollikel. Die sich regenerierenden Haarfollikel regen im Anschluss die umgebenden Myofibroblasten dazu an, sich als Fett zu regenerieren, anstatt Narbengewebe zu bilden. „Ohne Haarfollikel findet die Umwandlung von Myofibroblasten in Adipozyten nicht statt. Die neuen Fettzellen sind von den bereits bestehenden Fettzellen nicht zu unterscheiden. Das lässt die heilende Wunde natürlich nicht wie eine Narbe aussehen“, schreiben die Forscher.
Als wesentlichen Faktor in der Kommunikation von Haarfollikeln und Fettzellen identifizierten die Forscher ein knochenmorphogenetisches Protein (Bone Morphogenetic Protein (BMP)). Es gehört zu einer Gruppe von Wachstumsfaktoren, den Zytokinen, und instruiert die Myofibroblasten dazu, sich in Fettzellen umzuwandeln.
Adipozyten entstehen im Wundgewebe nur dann, wenn Haarfollikel ein entsprechendes Signal abgeben © George Cotsarelis
„Unsere Daten aus den Versuchen mit Mäusen lassen sich auch auf den Menschen übertragen“, so Maksim Plikus von der University of California, und weiter: „In der Zellkultur reichte es aus, menschliche Fibroblasten von Keloiden, einem bestimmten Narbenzelltyp entweder mit purem BMP oder mit menschlichen Haarfollikeln in Verbindung zu bringen, um ihre Umwandlung Richtung Adipozyten anzustoßen.“ Ein Verlust von Adipozyten in der Haut kommt häufig vor und kann bisher nicht befriedigend behandelt werden. Zum einen kann ein Adipozytenverlust Folge einer Therapie sein, beispielsweise gegen HIV, aber auch ein natürlicher Prozess im Laufe des Lebens. So geht man davon aus, dass tiefe Falten durch den stetigen Verlust von Hautfett entstehen. Ohne eine unterfütternde Fettschicht, schrumpft und faltet sich die Haut wie ein Ballon, der Luft verliert. Von den neuen Erkenntnissen könnten neben Narbengeplagten und Menschen mit Lipo-Dystrophien oder auch Anti-Aging-Liebhaber profitieren. Fettzellen hatten lange Zeit ein rein negatives Image. Das liegt zum einen daran, dass Dicksein verpönt ist und zum anderen an den zahlreichen gesundheitlichen Risiken, die mit zu viel Körperfett in Verbindung gebracht werden. Doch der menschliche Körper ist auf Fett nicht nur als Energiespeicher angewiesen, sondern nutzt das Fettgewebe auch als endokrines Organ, das zahlreiche hochaktive Stoffe ausschüttet.
Bildung von narbenfreiem, behaartem Gewebe im zeitlichen Verlauf © George Cotsarelis.
In einem nächsten Schritt müssen die Erkenntnisse aus dem Labor den Weg in die Anwendung finden. „Das könnte theoretisch ganz einfach über eine Injektion der Signalmoleküle direkt in die Narbe passieren, zum Beispiel mit einer kleinen Insulinspritze, wie sie aktuell auch bei Botox-Anwendungen benutzt wird“, so Plikus. Auch Cremes sind denkbar, in denen niedermolekulare Agonisten und Antagonisten, die die Stoffwechselschritte der Fettzellbildung steuern, verarbeitet sind.
Regeneration of fat cells from myofibroblasts during wound healing.