Sind Ärztinnen die besseren Ärzte? Einer Studie zufolge gibt es weniger Todesfälle im Krankenhaus, wenn Kolleginnen Dienst haben. Die Arbeit hat ihre Schwächen, lässt sich aber nicht ignorieren. Ein Experte fordert weitere Untersuchungen.
Ärztin oder Arzt - an dieser Frage scheiden sich bei Patienten die Geister. „Ich gehe nur zu Ärzten“, schreibt eine Userin bei „gutefrage.net“. „Bis vor einiger Zeit war ich bei einer Frauenärztin, aber die war so ruppig und unfreundlich,dass ich wieder zu einem Mann gewechselt habe. War eine gute Entscheidung.“ Eine andere Patientin widerspricht: „Also beim Frauenarzt lieber zu einer Ärztin, ansonsten egal.“ Der nächste User entgegnet: „Ich geh zu dem Arzt, bei dem ich mich am besten aufgehoben fühle, egal, ob weiblich oder männlich.“ Wirklich?
Dass es zwischen Ärztinnen und Ärzten kleine, aber feine Unterschiede gibt, ist für Wissenschaftler nichts Neues. Bereits im Jahr 2013 machte sich eine kanadische Forscherin so ihre Gedanken. Im Rahmen einer Studie untersuchte sie, wie Medizinerinnen oder Mediziner ältere Patienten mit Typ 2-Diabetes behandeln. Die Gruppe gilt aufgrund zahlreicher Komorbiditäten als Herausforderung. Basis waren Praxisdaten von 870 Ärzten – jeweils zur Hälfte Frauen und Männer. Ärztinnen hielten sich genauer an kanadische Leitlinien, was sich sowohl bei der Diagnostik als auch bei der Pharmakotherapie zeigte. Rund 75 Prozent aller Kolleginnen überwiesen ihre Patienten an Augenärzte, um diabetische Retinopathien rechtzeitig zu entdecken. Zu diesem Schritt entschlossen sich nur 70 Prozent aller Kollegen. Dafür behandelten sie innerhalb eines Jahres rund 1.000 Patienten mehr als Ärztinnen. Klinikbetreiber mag das freuen – schließlich stimmt der Umsatz. Nachhaltige Strategien sehen aber anders aus. „Ärzte, die sich mehr Zeit mit ihren Patienten nehmen und Sachverhalte genauer erklären, tragen dazu bei, dass die Patienten nicht so oft zurückkehren, weil ihnen die Behandlung unklar ist“, gibt Régis Blais zu bedenken. Er ist Coautor des Artikels. Jetzt sorgt eine neue Publikation für Gesprächsstoff.
Yusuke Tsugawa. Quelle: Harvard „Wir haben Daten von mehr als einer Million Medicare-Versicherten, die älter als 65 Jahre waren, ausgewertet“, berichtet Yusuke Tsugawa. Er forscht an der Harvard T. H. Chan School of Public Health in Boston, Massachusetts. Patienten, die von einer Internistin im Krankenhaus behandelt wurden, hatten eine signifikant geringere Sterberate für die nachfolgenden 30 Tage als Patienten, die einen Internisten gesehen hatten. Tsugawa gibt hier 11,07 versus 11,49 Prozent an. Umgerechnet auf alle Patienten bei Medicare bedeutet das rein statistisch, 32.000 Leben könnten Jahr für Jahr gerettet werden, falls weibliche und männliche Health Professionals die gleichen Behandlungserfolge erzielen. Ein ähnlicher Effekt ließ bei der Rate stationärer Aufenthalte innerhalb von 30 Tagen finden, sprich 15,02 versus 15,57 Prozent. „Das Geschlecht des Arztes scheint für die am schwersten erkrankten Patienten von besonderer Bedeutung zu sein“, resümiert Tsugawa. „Obwohl wir den genauen Mechanismus nicht identifizieren konnten, haben frühere Studien gezeigt, dass sich weibliche Ärzte eher an klinische Richtlinien halten und patientenzentrierter kommunizieren.“
Stefan Lange. Quelle: IQWiG Privatdozent Dr. Stefan Lange, stellvertretender Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), hat sich die Arbeit im Detail angesehen. Hier handele es sich nicht um eine kontrollierte randomisierte Studie, sondern um eine Beobachtungsstudie mit diversen Verzerrungsmöglichkeiten. „Damit aber ist ein Unterschied von 0,43 Prozent beziehungsweise ein relatives Risiko von 0,963 nicht mehr als tatsächlicher Effekt interpretierbar“, so Lange. Er lobt, die Autoren hätten alle möglichen Anstrengungen unternommen, um mögliche Störgrößen zu berücksichtigen. Dabei zeige sich mit zunehmend stringenter Kontrolle eine Abnahme des beobachteten Unterschieds von 0,67 Prozent auf 0,43 Prozent. Lange: „Würden also weitere plausible, vielleicht nicht gemessene Störgrößen berücksichtigt, könnte der Unterschied noch kleiner werden und schließlich verschwinden.“
Bleibt zu klären, welche plausiblen, nicht gemessenen Parameter vielleicht als Störgrößen auftreten. „Ärztinnen basieren ihre Arbeit offenbar eher auf Evidenz als Männer, praktizieren also eher eine evidenzbasierte Medizin“, vermutet Stefan Lange. Möglicherweise arbeiten Frauen auch zu anderen Zeiten als Männer – die Familie ist anscheinend immer noch mehr ihre als seine Aufgabe. Bei allen Spekulationen bleibt eine Frage unbeantwortet: Was lässt sich mit den Resultaten wirklich anfangen? Besser zur Ärztin statt zum Arzt gehen – oder mehr Evidenz einfordern? Auch für Deutschland ist die Frage berechtigt: Bundesweit arbeiten in 1.956 Krankenhäusern 93.779 Ärzte und 80.612 Ärztinnen. „Wollten wir wirklich wissen, ob die Versorgung durch Ärztinnen bessere Ergebnisse als die Versorgung durch Ärzte bringt, dann kämen wir angesichts der potenziell zu erwartenden, kleinen Unterschiede nicht um eine randomisierte kontrollierte Studie herum“, erklärt Stefan Lange. Wissenschaftlich ist eine solche Untersuchung machbar, keine Frage. Lange: „Was hindert uns also daran, wenn es uns wirklich interessiert? Nichts; aber wie bei vielen anderen wichtigen Fragen in der Medizin, zum Beispiel, was ist die beste Behandlung des lokalen Prostatakarzinoms, ziehen wir offenbar das Nichtwissen vor.“ Er spielt auf die kürzlich eingestellte PREFERE-Studie an. Forscher wollten klären, welche Therapieoption bei frühen Stadien die besten Ergebnisse liefert. Ihnen ist es nicht gelungen, ausreichend viele Patienten zu rekrutieren.