Menschen mit vergrößerten Blutplättchen haben offenbar ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Thrombosen. Das mittlere Thrombozyten-Volumen könnte in Zukunft als zusätzlicher Marker zur Risikobewertung von Arteriosklerose dienen.
Bei Verletzungen stehen Thrombozyten an vorderster Front: Sie stoßen die Blutgerinnung an und helfen dabei, die verletzten Blutgefäße rasch zu verschließen. Doch die kleinsten Zellen des Blutes haben nicht nur segensreiche Wirkungen, sondern sind auch an der Entstehung von gefährlichen Blutgerinnseln beteiligt. Die Aktivierung der Thrombozyten geht mit einer kompletten Veränderung ihrer Gestalt einher. Die normalerweise kleinen scheibenförmigen Zellen wandeln sich dabei in kugelförmige Zellen um, die auch eine vergrößerte Zelloberfläche und Fortsätze haben. Die damit verbundenen Veränderungen der Blutplättchen lassen sich im Blut gut nachweisen. In den vergangenen Jahren kam der Verdacht auf, dass ein Zusammenhang zwischen einem erhöhten mittleren Thrombozyten-Volumen (mean platelet volume, MPV) und Herz-Kreislauf-Erkrankungen bestehen könnte. Nun ist es einem Forscherteam der Universität Mainz gelungen, eine Reihe von genetischen und nicht-genetischen Faktoren aufzuspüren, die das Risiko für ein erhöhtes MPV vergrößern. Wie die Wissenschaftler um Marina Panova-Noeva und Philipp Wild in einem Artikel im Fachmagazin Blood berichten, unterscheiden sich diese Risikofaktoren bei Männern und Frauen deutlich. Die Forscher haben für ihre Analyse auf Daten der Gutenberg-Gesundheitsstudie zurückgegriffen, in deren Rahmen der Gesundheitszustand von 15010 Probanden im Alter von 35 bis 74 Jahren aus Mainz und Umgebung über einen Zeitraum von fünf Jahren erfasst wurde. „Wir haben von einem großen Kollektiv auf der einen Seite die genetischen Daten und auf der anderen Seite die klinischen Parameter bestimmt“, berichtet Wild, Leiter der klinischen Epidemiologie des Centrums für Thrombose und Hämostase (CTH) der Universitätsmedizin Mainz und Mitinitiator der Gutenberg-Gesundheitsstudie. „Von Diabetes bis zum Bluthochdruck, von den Blutfetten bis zur Medikamentenanamnese umfasste die Analyse alle wesentlichen Faktoren.“ Ein großer Vorteil für die aktuelle Untersuchung war der Umstand, dass alle Daten zentral in der Universitätsmedizin Mainz erhoben wurden. Denn, so Wild, für die Messung des MPV gebe es noch kein standardisiertes Verfahren und Werte aus verschiedenen Laboren ließen sich momentan nicht gut miteinander vergleichen.
Nachdem die Forscher um Wild und Panova-Noeva die Daten statistisch ausgewertet hatten, zeigte sich, dass das Alter, kardiovaskuläre Risikofaktoren wie zum Beispiel Rauchen und Bluthochdruck sowie ein erhöhter Blutzucker-Wert nur bei männlichen Probanden mit einem höheren MPV verbunden waren. Für Frauen konnten sie die Einnahme oraler Verhütungsmittel sowie die Menstruation als Einflussfaktoren auf ein erhöhtes mittleres Thrombozyten-Volumen ermitteln – dieses wird also wahrscheinlich vom weiblichen Hormonstatus beeinflusst. Zudem fand das Forscherteam heraus, dass sich das Sterblichkeitsrisiko für die männlichen Studienteilnehmer mit größeren Thrombozyten erhöhte, aber für die weiblichen Probanden kein solcher Zusammenhang bestand. „Wir gehen davon aus, dass der weibliche Zyklus die Ergebnisse überlagert. Es könnte gut sein, dass wie bei Männern die gleichen Risikofaktoren das MPV von älteren Frauen ohne fortbestehende Regelblutung beeinflussen“, sagt Wild. Als er und sein Team das genetische Risiko bei den Studienteilnehmern für ein erhöhtes MPV analysierten, fanden sie mehrere Genvarianten, die mit dem mittleren Thrombozyten-Volumen assoziiert waren. Zwei dieser Gene, TPM1 und NEF2, tragen die Bauanleitung für Proteine, die an der Bildung von Blutplättchen beteiligt sind. „Rund acht Prozent der MPV-Variabilität scheinen genetisch bedingt zu sein, für den großen Rest sind eher nicht-genetische Faktoren verantwortlich“, berichtet Wild.
Andere Experten sind von der Untersuchung beeindruckt: „Durch die große Menge an Daten, die in der Gutenberg-Gesundheitsstudie vorliegen, konnte das Team um Wild zeigen, dass das mittlere Thrombozyten-Volumen als zusätzlicher Labormarker zur Erfassung des kardiovaskulären Risikos geeignet ist“, sagt Ulrich Walter, Senior Professor am CTH. „Aber es ist noch nicht eindeutig klar, ob dieser Wert per se ein Risikofaktor ist.“ Es könne sein, so Walter, dass vergrößerte Thrombozyten das Risiko für kardiovaskuläre Krankheiten erhöhten, aber es sei auch umgekehrt möglich, dass andere Risikofaktoren wie zum Beispiel Bluthochdruck sekundär zu einem erhöhten MPV führten. Da andere Studien darauf hinweisen, dass auch Sport eine Erhöhung des mittleren Thrombozyten-Volumens verursachen kann, sollte nach Ansicht von Walter dieser Wert, wenn er erhöht ist, über einen längeren Zeitraum verfolgt werden, ehe man endgültige Aussagen über das kardiovaskuläre Risiko trifft.
Ob hohe MPV-Werte therapiebedürftig sind, darüber gibt die aktuelle Untersuchung keine eindeutige Auskunft: „Noch reichen die Daten nicht aus, um erhöhte MPV-Werte mit der Thrombozyten-Aktivierung und einer nachfolgenden Thrombusbildung zu verknüpfen“, findet Wild. „Eine Behandlung von vergrößerten Blutplättchen mit Thrombozyten-Aggretationshemmern ist noch ganz spekulativ und wird momentan auch nicht gemacht.“ In einer weiteren Studie wollen er und seine Mitarbeiter nun herausfinden, ob das MPV mit einer höheren Thrombozyten-Aktivierung assoziiert ist. Ein weiterer kardiovaskulärer Faktor ist eng mit der Aktivierung der Blutplättchen verknüpft: Die Steifigkeit von Blutgefäßen reflektiert das Voranschreiten von atherosklerotischen Prozessen. „Die Thrombozyten-Aktivierung begünstigt die Blutgefäßsteifigkeit und diese treibt umgekehrt die Thrombozyten-Aktivierung in die Höhe“, erklärt Wild. Wenn nun das MPV mit der Aktivierung der Blutplättchen assoziiert wäre, würden erhöhte MPV-Werte auch für steifere Blutgefäße sprechen – mit den entsprechenden negativen Folgen für die kardiovaskuläre Gesundheit.“