Die Opioid-Krise hat die USA voll im Griff. Jetzt behaupten Mediziner, viele der Todesfälle könnten auf die gleichzeitige Einnahme von Opioiden und Benzodiazepinen zurückzuführen sein. Wurde bisher übersehen, wie risikoreich die Einnahme beider Arzneistoffe ist?
Aufgrund der Opioid-Krise sterben inzwischen mehr US-Amerikaner unter 50 Jahren an einer Überdosis Drogen als durch Autounfälle oder Waffengewalt. Zwei Drittel davon durch den Missbrauch von Opioiden. Einen Grund dafür sehen Experten in der leichtfertigen Verschreibung entsprechender Medikamente. Jetzt warnen Mediziner vor einer weiteren Krise: Die Zahl der Todesfälle durch Benzodiazepine stieg in den letzten Jahren in den USA stark an. Die Experten spekulieren, dass die Gefahr durch Benzodiazepine bisher übersehen wurde, weil rund ein Viertel der Benzodiazepin-Toten gleichzeitig Opioide einnahmen.
Benzodiazepine gehören mit ihren angstlösenden, beruhigenden und schlaffördernden Eigenschaften zu den meistverschriebenen Psychopharmaka weltweit. Ein großer Nachteil ist ihr hohes Suchtpotenzial. In Deutschland sind Schätzungen zufolge etwa 1,5 Millionen Menschen von ihnen abhängig. Laut einer aktuellen Studie ist das Risiko einer Opioid-abhängigen Überdosis fünfmal höher, wenn der Patient gleichzeitig Benzodiazepine eingenommen hat. Die Kombination der Medikamente ist deshalb problematisch, weil beide Wirkstoffe dämpfend auf das zentrale Nervensystem wirken. Bei gleichzeitiger Einnahme addieren sich die Effekte und dies kann zu Atemlähmung und Tod durch Ersticken führen. Die FDA warnt angesichts der Opioid-Krise immer wieder davor, wie risikoreich die gleichzeitige Einnahme beider Medikamente ist. Erst kürzlich rief die FDA zu „proaktiver Pharmakoviliganz“ auf. Die Überwachung der Sicherheit eines Medikaments, in dem Fall der Opioide und Benzodiazepine, muss verbessert werden. Bei der Pharmakovigilanz geht es vor allem darum, auch bisher unerwünschte Wirkungen zu entdecken und zu beurteilen, um entsprechende Maßnahmen zur Risikominimierung zu ergreifen.
An der Entwicklung neuer Opioide, die nicht abhängig machen, aber genauso stark wirken, arbeiten Forscher schon länger. So haben Wissenschaftler an der Charité in Berlin dieses Jahr neuartige Opiode mit vielversprechenden Ergebnissen im Tierversuch getestet. Die Wirkstoff-Moleküle haben sie zuvor am Computer designt. Die Entwicklung neuer Benzodiazepine ist hingegen schwieriger: Benzodiazepine wirken an einer Struktur im Gehirn, die so komplex ist, dass sie bisher nicht richtig aufgeklärt werden konnte – den sogenannten GABAA-Rezeptoren im Gehirn. Doch auch hier sind Forscher mithilfe modernster Elektronenmikroskopie einen Schritt weiter. Sie konnten die Struktur der in menschlichen Synapsen häufigsten Isoform des GABAA-Rezeptors erstmals detaillierter als bisher auflösen. Das ermöglicht es Forschern in Zukunft neue passgenaue Wirkstoffe zu entwickeln, die als Alternative bei Angst- oder Schlafstörungen eingesetzt werden können. Der Rezeptor ist komplex und daher auch besonders vielseitig. Barbiturate, Alkohol, Anästhetika und Steroide wirken ebenfalls über den GABAA-Rezeptor. Wenn Forscher also seine Struktur entschlüsseln, können sie auch besser verstehen, wie diese chemischen Verbindungen über den Rezeptor wirken. Möglicherweise lassen sich dann auch neue, bessere Medikamente entwickeln.
Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg. Der Einsatz herkömmlicher Benzodiazepine hat aber auch seine Berechtigung. Symptome etwa bei einer Depression oder bei Angsstörungen lassen sich schnell durch die sedativ und anxiolytisch wirkenden Benzodiazepine lindern, sodass man bislang nicht um den Einsatz dieser Arzneistoffe herumkommt. Denn die dafür indizierten Medikamente wie SSRI-Antidepressiva wirken meist zeitlich verzögert und helfen nicht in Akutsituationen. Die Tatsache, dass sich einige Benzodiazepine wie Diazepam (© Valium) auf der Liste der unentbehrlichen Medikamente der WHO befinden, unterstreicht die Wichtigkeit dieser Medikamente.