Letzte Woche wurde ich zu einem dringenden Hausbesuch gerufen. Patientin in den 60ern, seit 2 Jahren mehr oder weniger an das Bett gefesselt aufgrund einer unheilbaren, aber relativ langsam voranschreitenden Krankheit. Geistig noch ganz fit, kann sie die Arme nur noch etwas, die Beine gar nicht mehr bewegen, auch Sprechen fällt ihr schwer. An dem Tag, an dem ich von ihrem Mann gerufen wurde, hatte sie beschlossen, sich jetzt umzubringen, indem sie alle Nahrung, Medikamente, Körperpflege, Toilettengänge etc. verweigert. Ich konnte sie davon überzeugen, dass diese Art von Verweigerung nicht zu einem schönen oder wenigstens schnellen Tod führt. Trotzdem steht dieser Wunsch im Raum, dass sie ihr Leben selbstbestimmt beenden möchte. Wohlgemerkt ein Leben, das durch ihre Erkrankung doch relativ absehbar beendet werden wird. Aber sie kann mit dieser Erkrankung durchaus noch einige Jahre mit immer schlechter werdenden Gesundheitszustand weiterleben, das nun will sie nicht. Es ist jedermanns Recht, wenn er geistig gesund und sich der Konsequenzen bewusst ist, sein Leben selbstbestimmt zu beenden, wenn er das möchte. Dieses Recht hat meine Patientin gerade mit dieser Diagnose gewiss auch. Ihr Mann ist damit auch einverstanden. (So einverstanden man eben sein kann, wenn der Partner, den man liebt, aus diesem Leben scheiden möchte)
Neben den durchaus interessanten ethischen und auch philosophischen Fragen, wann welches Leben noch lebenswert ist oder auch nicht, und ob es einen "gesunden" Suizid gibt, im Gegensatz zum Suizid als Symptom einer wie auch immer gelagerten psychiatrischen oder anderen Erkrankung, stellt sich doch auch die praktische Frage nach dem "Wie". Die Patientin hat mich dann nach Möglichkeiten gefragt und mich damit etwas in Schwierigkeiten gebracht. Als Arzt gehört es eigentlich nicht zu meinen Aufgaben, Menschen dabei zu helfen, sich umzubringen. All mein Wissen ist auf den Erhalt des Lebens ausgerichtet.
Was nimmt man da am besten? Morphin? Insulin? Schlaftabletten? Ich habe keine wirkliche Ahnung. Und dann müssen sie ja auch noch an "den Stoff" rankommen, das heißt, sie bräuchten ein Rezept. Nun kann ich ja schlecht auf ein Rezept eine größere Menge Morphin aufschreiben mit der Begründung: "Für Suizid"
Selbst wenn ich ihnen die Medikamente auf anderen Wege beschaffen würde, wüsste ich nicht, ob ich das wirklich machen möchte. Es gehört eigentlich nicht zu meinen Aufgaben. Andererseits, an wen sollen sie sich sonst wenden, wenn nicht an ihren behandelnden Arzt?
Schwierig. Ich weiß noch nicht, wie es mit der Patientin weitergeht oder wie ich mich entscheide.
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