Liebe Pharmavertreter,
jetzt kennen wir uns schon eine Weile. Zeit, einmal ehrlich zu sein. Da ich einen oder zwei von euch sogar fast sympathisch finde, deshalb hier mein total nett und freundlich gemeinter Rat: Lasst es doch einfach. Ehrlich. Ich mein, ihr habt natürlich meinen Respekt, schon allein dafür, dass ihr euch als gesunder Mensch stundenlang in ein Wartezimmer voller kranker, Bazillenverteilender, teilweise streng duftener Menschen setzt, nur um 10 Minuten Privataudienz beim Arzt zu erhalten. Wird euch diese Wartezeit eigentlich bezahlt als Arbeitszeit? Oder werdet ihr nur auf Provisionsbasis oder Erfolgsbasis bezahlt?
Auch seid ihr immer Suuuuper-freundlich, egal wie muffelig ich oder die Damen am Empfang euch behandeln. Nichts wischt das festgeklebte Lächeln aus eurem Gesicht, außer vielleicht,wenn ihr ein Konkurrenzprodukt in unserem Regal entdeckt. Schön ist auch, dass ihr alle in euren Erfolgsseminaren aufgepasst habt und mich deshalb jedesmal fragt, wie es mir geht oder versucht, Gemeinsamkeiten zu finden: "Wo sind Sie geboren?" "Im Takkatukkaland." "Ach schön, da gibt ja viel Tourismus, ich war als Kind oft dort." "Ich habe als Kind die ganzen Touristen gehasst." Auch schön, dass ihr in euren Unterlagen immer den Überblick behaltet. Und uns jederzeit mit neuen, "spannenden und total wichtigen" Pamphleten, Post-Its, Patientenbroschüren, Fragebögen, Plakaten, Schautafeln, bedruckten Tassen und Kulis versorgt. Notfalls auch gegen unseren Willen.
Kleiner Profi-Tipp von mir: Wenn die Damen vorne sagen, nein danke, wir brauchen keine 10. Patientenbroschüre zum Thema Verstopfung, dann könnt ihr ihnen glauben. Und nicht heimlich doch welche da lassen. Die landen sonst nämlich direkt in der Rundablage.
Ich bewundere auch euer Talent, ein- und denselben Fakt marketingkonform unterschiedlich auszulegen. Wenn Medikament A nur noch einmal statt zweimal am Tag genommen werden muss, dann ist das für Pharmavertreter A ein unschätzbarer, grandioser, die Welt verbessernder Vorteil. Für Pharmavertreter B mit dem Konkurrenzprodukt B, dass zweimal genommen werden muss, ist eine Einmalgabe ein Nachteil, "denn die Patienten fordern ihre Zweimalgabe ein und kommen so besser aus". Genauso ist es mit kürzerer oder längerer Halbwertszeit, schnellerer oder langsamer Anflutung, mehr oder weniger Geschmack usw. Liegt alles im Auge des Betrachters.
Rückschläge und Ablehnung könnt ihr blitzschnell in Vorteile verwandeln. Wenn ich sage, für Medikament XY gibt es keine Patienten, weil diese spezielle Störung nur sehr wenige haben, da sagt ihr, "Sehen Sie, wir von Pharma XY machen sogar Nischen-medikamente!!"
Eigentlich nichtssaussagende Studien legt ihr teilweise recht kreativ zur euren Gunsten aus, untermalt mit schönen bunten Schautafeln oder ganz modern mit lustigen Animationen auf quietschbunten Tablets.
Ihr gebt euch wirklich viel Mühe. Aber es beeindruckt mich leider nicht übermäßig. Und vor allem taucht ihr einfach viel zu oft im Wartezimmer auf. Wenn ihr wirklich was neues, innovatives habt, könnt ihr gerne vorbeikommen. Aber nur einmal. Und dann ist auch gut. Und wenn wir sagen, danke, kein Bedarf, dann ist das auch so.
Ich möchte wirklich nicht mit euch tauschen und manche von euch kann ich fast leiden, deshalb noch einmal ganz freundlich: Bitte nervt nicht ständig. Davon verschreibe ich auch nicht mehr eure Produkte.
Eine etwas Pharmageschädigte Hausärztin i.A.