Immer mehr Menschen reagieren allergisch auf Lebensmittel. Zur Zeit sind bis zu fünf Prozent der Erwachsenen und drei bis vier Prozent der Kinder davon betroffen. Eine neue Studie zeigt, dass der frühzeitige Kontakt mit allergenen Lebensmitteln die Häufigkeit von Allergien reduziert.
Viele Nahrungsmittel können Allergien auslösen – und oft sind sie Teil der täglichen Nahrung: Zu den Nahrungsmitteln mit dem höchsten Allergiepotential gehören Milch, Eier, Erdnüsse, Baumnüsse, Weizen, Soja, Fisch sowie Krusten- und Schalentiere. In den letzten zwei Jahrzehnten haben Lebensmittelallergien kontinuierlich zugenommen. Die allergische Reaktion auf Lebensmittel kann sehr unterschiedlich ausfallen: Von Schwellungen im Nasen-, Mund- und Rachenraum über Magen-Darm-Symptome wie Durchfall, Blähungen, Übelkeit und Erbrechen und Reaktionen der Atemwege wie allergisches Asthma bis hin zu allergischen Reaktionen der Haut wie Juckreiz oder Ekzemen. In seltenen Fällen kann es zu einem lebensgefährlichen anaphylaktischen Schock kommen.
Bisher ist wenig über die Ursachen von Lebensmittelallergien bekannt. Es gibt Hinweise darauf, dass der häufige Verzehr bestimmter Lebensmittel zu einer Antigen-Antikörper-Reaktion führen kann, die der Allergie zugrunde liegt. Wie und unter welchen Umständen es zu dieser Reaktion kommt, ist bisher unbekannt. Außerdem gibt es für Nahrungsmittelallergien bisher keine Behandlungen mit nachgewiesener Wirksamkeit. Der Rat an die Patienten lautet lediglich, Nahrungsmittel zu vermeiden, die das Allergen enthalten. Sehr häufig entwickeln sich Lebensmittelallergien bei Kindern im ersten Lebensjahr. Um dies zu verhindern, wurde Eltern bisher geraten, dem Baby in den ersten Lebensmonaten keine allergenen Lebenmittel zu füttern. Allerdings war dieser Ansatz in vielen Fällen nicht erfolgreich. Inzwischen wird untersucht, ob es nicht umgekehrt günstiger sein könnte, allergieauslösende Lebensmittel schon in den ersten Lebensmonaten zu geben und so „paradoxerweise“ Nahrungsmittelallergien zu verhindern. Ein problematischer Aspekt ist dabei jedoch, dass so – möglicherweise schwere – allergische Reaktionen auftreten können.
Nun hat ein Forscherteam um Osamu Natsume vom National Center for Child Health and Development in Tokio untersucht, ob das Zufüttern von Ei bei Babies eine Ei-Allergie im Alter von einem Jahr erfolgreich verhindern kann. „Ob es bei Lebensmittelallergien kulturspezifische Unterschiede gibt, ist bisher nicht bekannt“, sagt Yukihiro Ohya, der Seniorautor der Studie. „Aber eine Allergie gegen Hühnerei ist eine der häufigsten Lebenmittelallergien bei Kindern weltweit.“ In die doppelblinde, randomisierte Studie wurden 147 japanische Babies im Alter von vier bis fünf Monaten mit einem Hautekzem einbezogen – eine Gruppe mit hohem Risiko für die Entwicklung einer Lebensmittelallergie. Ausgeschlossen wurden Kinder, die in der Vergangenheit schon eine akute allergische Reaktion auf Hühnerei gezeigt hatten oder auf andere Lebensmittel allergisch reagiert hatten und Kinder, die schon Ei oder Eiprodukte gegessen hatten. Die Hälfte der Kinder erhielt zwischen dem sechsten und neunten Monat täglich 50 Milligramm erhitztes Eipulver und anschließend bis zum Alter von einem Jahr 250 Milligramm Eipulver täglich. Die andere Hälfte der Kinder bekam kein Eipulver. Auftretende Hautekzeme wurden so sorgfältig wie möglich behandelt. Im Alter von einem Jahr untersuchten die Forscher mit einem oralen Provokationstest, ob eine Allergie gegen Hühnerei vorlag. Da sich schon bei einer Zwischenauswertung mit 100 Kindern ein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen zeigte, wurde die Studie vorzeitig beendet. Die Auswertung ergab, dass deutlich weniger Kinder in der Ei-Gruppe eine Ei-Allergie hatten als in der Placebo-Gruppe. Allerdings mussten etwas mehr Babies in der Ei-Gruppe wegen gesundheitlicher Probleme im Krankenhaus behandelt werden: Nämlich 10 Prozent in der Untersuchungsgruppe und kein Kind der Placebo-Gruppe. „Gründe für den Krankenhausaufenthalt waren aber andere Erkrankungen, die nicht mit dem Ei-Konsum zusammenhingen“, berichtet Ohya. „Kein Kind in der Untersuchung zeigte eine allergische Reaktion auf das Hühnerei-Pulver.“
„Die schrittweise Einführung von Ei zur Nahrung, kombiniert mit einer konsequenten Behandlung des Ekzems, ist eine sichere und effiziente Art, einer Hühnerei-Allergie bei Kindern mit hohem Lebensmitteallergie-Risiko vorzubeugen“, schreiben die Forscher. Die Babies hätten in der Studie eine relativ kleine Menge gekochten Eis erhalten. Dadurch und durch die schrittweise Steigerung der Menge sei das Risiko für allergische Reaktionen deutlich geringer als bei größeren Mengen oder rohem Ei. Nun seien jedoch weitere Untersuchungen mit größeren und unterschiedlichen Bevölkerungsstichproben und unterschiedlichen Ernährungsprotokollen wichtig, um nachzuweisen, dass dieser Präventionsansatz generell wirksam und sicher sei, betont Graham Roberts von der britischen University of Southampton in einem Kommentar zur Studie. So entwickeln auch viele Kinder eine Allergie gegen Milch, Nüsse oder Erdnüsse. In zukünftigen Studien könnte untersucht werden, ob hier ähnliche Ansätze erfolgreich sind.
Erst kürzlich hat ein Experten-Kommitee der amerikanischen National Academy of Sciences, Engineering and Medicine kritische Punkte zum Thema Lebensmittelallergien in einem Bericht zusammengefasst und sechs Handlungsempfehlungen abgeleitet. „Bisher sind bei Nahrungsmittelallergien noch viele grundlegende Fragen offen“, heißt es in dem Bericht. „Die Empfehlungen von Gesundheitsexperten sind oft durch fehlende oder uneinheitliche Untersuchungsergebnisse eingeschränkt.“ Besonders wichtig sei es daher, in Zukunft mehr Forschung zum Thema durchzuführen. Dabei sollte die Häufigkeit von Lebensmittelallergien systematisch erfasst werden und evidenzbasierte Präventions- und Behandlungsansätze entwickelt werden. Im Moment gebe es keinen einfachen und eindeutigen Test zur Diagnostik von Lebensmittelallergien. Der „Goldstandard“ sei ein oraler Provokationstest, der aber bei manchen Patienten zu schweren allergischen Reaktionen führe und außerdem teuer sei. „Das Komitee empfiehlt, dass Ärzte bei der Diagnose von Lebensmittelallergien ein evidenzbasiertes Vorgehen wählen“, heißt es im Bericht. „Außerdem sollten Diagnostik und Behandlungsplanung von einem Spezialisten durchgeführt werden.“ Derzeit gebe es hinsichtlich Vorbeugung, Diagnostik und Behandlung viele irrige Meinungen – sowohl in der Bevölkerung und bei Patienten als auch bei Ärzten, schreiben die Experten. „Bisher wurde bei vielen Faktoren vermutet, dass sie zu Nahrungsmittelallergien beitragen könnten – aber es fehlen oft harte wissenschaftliche Belege.“ Bei der Beratung von Eltern oder Betroffenen sollte deshalb stärker darauf geachtet werden, einheitliche, wissenschaftliche belegte Empfehlungen zu geben.
So haben Untersuchungen bei Säuglingen gezeigt, dass Stillen eine gute vorbeugende Maßnahme gegen Lebensmittelallergien ist. Die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie empfiehlt deshalb, Babies mindestens in den ersten vier Lebensmonaten zu stillen. Weiterhin wird empfohlen, mögliche allergene Lebensmittel ab dem vierten und sechsten Monat zuzufüttern – nicht davor, aber auch nicht deutlich danach. Das Kommitee der National Academy of Sciences, Engineering and Medicine regt außerdem an, bessere Strategien zur Vorbeugung und Behandlung schwerwiegender allergischer Reaktionen einzuführen. „Mitarbeiter im Gesundheitssystem sollten besser über die Durchführung von Notfallmaßnahmen informiert werden“, so die Experten. Zudem sollten auch Vertreter der Politik und der Lebensmittelindustrie einbezogen werden – etwa, um die Kennzeichnung von Allergenen zu verbessern. So sei die Liste der wichtigsten Allergene, die auf Verpackungen genannt werden, seit 1999 nicht mehr überarbeitet worden.